Gauck und die Linken

Es ist eine herrliche Debatte. Der Bundespräsident weist darauf hin, dass es für einige Menschen schwer sein wird, Vertrauen in eine von der Linken geführte Landesregierung zu fassen. Prompt regen sich nicht nur die betroffenen Parteien, also die Linke und ihre Koalitionspartner SPD und Grüne auf. Kommentatoren allerorten werfen Herrn Gauck „Beleidigung des Wählers“ und „Missachtung der Demokratie“ vor.

Ich will gar nicht so sehr auf die Berechtigung von Gaucks Aussagen eingehen, das haben andere schon sehr treffend getan. Mir geht’s um das Demokratieverständnis der Kritiker, die sich immer darauf berufen, dass die Entscheidung des Wählers bedingungslos zu akzeptieren und nicht zu hinterfragen sei. Diesem dirigistischen Verständnis nach ist die Demokratie eine Art Diktatur der Mehrheit, also ungefähr das, was Herr Erdogan grade in der Türkei macht. Mit dem, was wir in Deutschland und in den anderen westlichen Demokratien haben, hat das aber – dankenswerterweise – nichts zu tun. Der Demokratie und dem Wählerwillen sind sehr wohl Grenzen gesetzt: Der Rechstaat, der festlegt, dass Gesetze auch für die demokratisch legitimierten Machthaber gelten und die liberalen Grundrechte, die quasi überstaatlich festgeschrieben sind. Bezeichnender Weise zeigt die von Linken geführte Scheindebatte über die DDR als nicht-Unrechtsstaat die gleiche dirigistische Denkweise in der Auslegung des Begriffes „Rechtsstaat“, die sie jetzt auch auf die Demokratie anwenden.

Es gibt noch etwas Drittes, eine Art überdemokratischer Moral: Unabhängig von der aktuellen Legitimation durch Wahlergebnisse müssen sich Personen und Institutionen die Frage gefallen lassen, inwiefern ihre eigene Geschichte sie für die Führung eines demokratischen, liberalen Rechtsstaates legitimiert. Nichts anderes hat Gauck getan.

Kurios ist an der ganzen Debatte, dass die Linken Herrn Gauck genau das vorwerfen, was sie selbst getan haben – wenn auch deutlich krawalliger als er. Ich halte es für die größte Leistung der Linken im Nachkriegsdeutschland, dass sie 1968 die demoktratisch gewählten Institutionen in der Bundesrepublik infrage gestellt haben, indem sie auf die persönliche Nazi-Vergangenheit einzelner Politiker und die mangelnde Aufarbeitung dessen in der politischen Kultur hingewiesen haben. Nichts anderes tut Gauck, indem er von der Linken verlangt, sich ihrerer Vergangenheit zu stellen. Deren Empörung ist also ganz offensichtlich nicht dem Schutz der Demokratie gewidmet sondern lediglich dem eigenen Machtgewinn. Vielleicht sogar noch, was schlimmer wäre, der posthumen Legitimation der eigenen, schrecklichen Vergangenheit.

Herrn Augsteins Steuermärchen

Ach Jakob Augstein: Was wäre Spiegel Online ohne Ihre Kolumne? Für mich jedenfalls ein Aufreger pro Woche weniger – dabei hatte ich mir so fest vorgenommen, mich über „Im Zweifel links“ nicht mehr aufzuregen.

Aber dennoch: Wenn ein intelligenter Mensch, das spreche ich ihm durchaus zu, die plattesten Unwahrheiten verbreitet, weil’s ihm ideologisch grade in den Kram passt, muss ich was dazu schreiben:

Wenn Herr Augstein schreibt, dass das deutsche Steuersystem „die Reichen“ bevorzugt, stimmt das schon deshalb nicht, weil wir einen progressiven Steuesatz haben: Wer mehr verdient, bezahlt nicht nur mehr Steuern, er bezahlt sogar einen höheren Anteil seines Verdienstes als Steuern. Damit wird der Vielverdiener ganz klar benachteiligt. Das mag sozial gerecht sein; eine Bevorzugung „der Reichen“ (wer auch immer das ist), ist es nicht.

Herr Augstein konkretisiert seine Behauptung dahingehend, dass Kapitalerträge (nach seiner Wahrnehmung das Einkommen „der Reichen“) mit nur 25% besteuert würden, der Spitzensteuersatz auf Einkommen aud Beschäftigung (das Einkommen der „Armen“) aber „fast 50% betrüge“. Es entsteht so der Eindruck, dass der arme Arbeiter fast 50% Steuern zahlt, der Fabrikant aber mit 25% wegkommt. Beide Zahlen sind schlicht falsch:

Was den Arbeiter betrifft: Der muss als Alleinstehender fast 50.000 Euro im Jahr verdienen – schwerlich ein Betrag, der eine Klassifizierung als „arm“ zulässt – damit sein Steuersatz über den 25% des Fabrikanten liegt . Um auf den Spitzensteuersatz von 42% zu kommen (das scheint Herr Augstein mit „fast 50%“ zu meinen), braucht unser Arbeiter ein Einkommen von 500.000 Euro. Richtig gelesen: Eine halbe Million.

Was den Fabrikanten betrifft, übersieht (oder verschweigt) Herr Augstein, die doppelte Besteuerung des Ertages im Unternehmen und bei der Ausschüttung: Nehmen wir mal an, das Unternehmen unseres Fabrikanten erwirtschaftet einen Gewinn von 100.000 Euro im Jahr. Darauf muss das Unternehmen zunächst einmal Körperschaftssteuer in Höhe von 25% zahlen. Unserem Fabrikanten blieben also 75.000 Euro als Einkommen, die er sich privat ausschütten lassen könnte. Allerdings muss er die dann nochmal mit der von Herrn Augstein erwähnten Kapitalertragssteuer von 25% versteuern. Ihm bleiben am Ende noch gut 56.000 Euro. Insgesamt wurden auf den Ertrag Steuern von 43,75% bezahlt. Zur Erinnerung der Spitzensteuersatz auf Einkommen liegt bei 42%.

Dieser Steuersatz gilt für kleine Handwerksmeister genauso wir für Großinvestoren. Aha, könnte man sagen, dann hat Augstein ja doch einen wunden Punkt gefunden. Auch wenn das, was er schreibt, konkret nicht stimmt, ist es doch unfair, wenn der „kleine Handwerksmeister“ den gleichen Steuersatz zahlen muss, wie der „Großinvestor“.

Ja, das wäre so. Wenn nicht „der Großinvestor“ vielleicht doch wieder unser Arbeiter ist, der sein Erspartes als Rentenvorsorge in Fonds anlegt. Denn nichts anderes, als die Fonds, die so viele von uns bestitzen, verbergen sich hinter den „institutionellen Investoren“ von denen so häufig die Rede ist, wenn es um den internationalen Großkapitalismus geht.

Wie auch immer: Herr Augstein hat keine Ahnung von unserem Steuersystem – und folglich auch nicht von Steuergerechtigkeit. Es passt ihm nur nicht in den Kram, dass das Steuerrecht halt doch gerecht ist – zumindest viel gerechter, als er und viele andere Linke uns glauben machen wollen.

Und wer mich jetzt noch spitzfindig auf den Link zur der Studie zur Vermögensverteilung hinweisen möchte, mit dem Herr Augstein neben den ungleichen Einkommen auf die noch ungleicheren Vermögen hinweisen will: Die berücksichtigen typischer Weise die Rentenansprüche nicht, die grade bei den ärmeren Menschen einen wesentlichen Teil ihrer Vorsorge ausmachen.

Kritisch denken verboten!

In meinem Facebook Feed tauchte heute dieser Artikel auf. Oberflächlich geht es darum, dass vegetarische und vegane Ernährung eine ihrer wesentlichen Ziele, nämlich das nicht-Töten von Tieren, verfehlen muss, weil das Töten von Tieren ein fast zwangsläufiger Nebeneffekt von des Anbaus von vegetarischen Nahrungsmitteln ist. Wie zu erwarten gibt es eine Empörungswelle. Der Autor – dem es offensichtlich vor allem um natürliche Ernährung geht – versucht in etlichen Nachträgen fast verzweifelt klarzumachen, worum es ihm geht: Er hat nie behauptet, man solle oder gar müsse Fleisch essen, er sei lediglich der Meinung, Ernährung sei etwas, dass jeder für sich ausmachen müsse, dabei allerdings möglichst verantwortungsvoll handeln, sprich sich möglichst natürlich ernähren solle.

Willkommen im Club der Liberalen! (Ohne mehr gelesen zu haben: die Aufmachung der Webseite legt nahe, dass der Autor nicht im Traum daran denkt, die FDP zu wählen). Text und Reaktion beschreiben schon fast archetypisch die liberale Realität in Deutschland: Wer – zurecht – auf logische Fehler in den Begründungen irgendwelcher „Nur so ist’s richtig“-Predigern hinweist, wer schreibt, individuelles Handeln ist eben dem Einzelnen überlassen, der sieht sich nicht nur einer Empörungswelle ausgesetzt. Er gerät in einen Lagerkampf zwischen zwei Fronten, wo er nur sagen wollte: Nicht „entweder oder“ sondern „es hängt davon ab“.

Grüner Liberalismus?

In der FAZ steht heute ein spannender Artikel über Grünen Wirtschaftsliberalismus: Ein weiterer Versuch, „grün“ und „liberal“ unter einen Hut zu bringen.  Offensichtlich wollen die Grünen nicht verstehen, was liberal eigentlich ist. Denn grünen Liberalismus kann es nicht geben – übrigens auch keinen „gelben“. Oder roten, blauen oder schwarzen. Libralismus zeichnet eben dadurch aus, dass die Freiheit des Menschen der Zweck politischen Handelns ist. Und nicht Mittel um einen anderen Zweck zu erreichen.

Wenn Reinhard Loske schreibt, dass

Eine Politik, die ökologische und freiheitliche Ziele verbindet, wird […] klare Klimaschutzziele über einen langen Zeitraum verlässlich festlegen, damit alle Akteure wissen, woran sie sind.

dann beschreibt er etwas zutiefst illiberales. Jede Politik, die das Handeln aller Akteure auf ein bestimmtes Ziel ausrichtet, ist ihrem Wesen nach das Gegenteil von liberal: sie ist totalitär. Dabei spielt das Ziel überhaupt keine Rolle: Ich gestehe sofort ein, dass Klima- und Umweltschutz ein erstrebenswertes Ziel ist. Nur eben nicht um den Preis, dass die Handlungsfreiheit des Einzelnen diesem Ziel untergeordnet wird. Das einzige universelle Ziel, dass eine liberale Politik zulässt ist, alles darauf auszurichten, dass der Einzelne in die Lage versetzt wird, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten.

Das alles heisst nun übrigens nicht, dass es keine liberale Umweltschutzpolitik geben kann. Im Gegenteil ist verantwortliches Handeln auch und grade im Umgang mit den natürlichen Ressourcen wesentlicher Bestandteil der Freiheit: Verantwortung und Freiheit sind untrennbar; Verantwortung  ist sozusagen die große Verpflichtung die mit der Freiheit einhergeht. Der kategorische Imperativ, der dem innewohnt, gilt im Bereich von Umweltfragen ganz besonders: Individuelles Handeln muss immer so gestaltet sein, dass es die Welt in der wir Leben nicht so nachteilig verändert, dass zukünftige Generationen darin nicht mehr oder nur noch mit erheblichen Abstrichen leben können.

Neben dieser zugegeben recht abstrakten individuellen Verantwortung kann auch ein liberaler Staat durchaus aktiv Umweltpolitik betreiben. Und hier nennt Herr Loske durchaus auch sinnvolle und für Liberale akzeptable Maßnahmen. Besonders die ökologische Steuerreform ist ein sinnvoller Weg. Man mag darüber streiten, wie hoch Steuern sein müssen. Zwei Dinge aber sind auch dem libertärst denkenden Menschen klar: Es muss Steuern geben muss und sie haben immer auch eine Lenkungswirkung: Wenn der Staat durch Steuern, Tabak, Alkohol oder Arbeit verteuert, dann führt das dazu, dass der Preis für Tabak, Alkohol oder Arbeit steigt und die Nachfrage infolgedessen sinkt. Insofern ist es nur sinnvoll, diese Lenkungswirkung zur Erreichung politischer Ziele zu nutzen. Dass Umwelt- und Klimaschutz ein sinnvolles, ein richtiges politisches Ziel ist, darüber dürfte Einigkeit bestehen. Die Lenkungswirkung von Steuern dahingehend einzusetzen ist also vollkommen richtig. Richtiger – und liberaler – auf jeden Fall, als der gesammelte EEG-Subventionswahnsinn.

Nur ist das kein „grüner Liberalismus“. Es ist schlicht und ergreifend vernünftige Politik, die den liberalen Rahmen respektiert. Bisher haben die Grünen das nicht geschafft.

„Freiheit ist unteilbar“

Christian Lindner ist mir mit diesem Zitat zuvorgekommen. Aber er hat’s nur im Nebensatz erwähnt, da bleibt mir die Chance, mich damit ein bisschen tiefer auseinanderzusetzen:

Der Satz stammt nicht von Lindner: Er stammt aus der „Ich bin ein Berliner“ Rede von John F. Kennedy, die übrigens genauso gut die „Freiheit ist unteilbar“ Rede hätte sein können. Nur Ort und Zeitpunkt der Rede gaben ihr ihren Titel: Programmatisch wäre „Freiheit ist unteilbar“ der bessere Titel gewesen. Denn abseits des berühmten Satzes geht es in der Rede eben um die Freiheit. Ihr vorletzter Absatz lautet:

Die Freiheit ist unteilbar, und wenn auch nur einer versklavt ist, dann sind nicht alle frei.

(Auf Englisch klingt das übrigens besser.)

Nun hatte Kennedy es einfach: Er brauchte nur auf die Mauer zu zeigen und jedem war klar, was Unfreiheit bedeutet. Das ist heute zumindest in der westlichen Welt schwieriger: Wir können uns frei bewegen  und kein Staat baut eine Mauer um uns, um das zu verhindern. Mehr noch: der Teil der Welt, für den das gilt, ist seit Kennedys Rede viel größer geworden und wird immer größer. Selbst in eindeutig „unfreien“ Staaten wie China nimmt die Freiheit immer weiter zu. Langsam zwar, aber sie nimmt zu.

Damit ist Kennedys Idee von der unteilbaren Freiheit über die Grenzen hinweg nicht hinfällig geworden: Sie gilt immer noch. Sie hat nur eine zusätzliche Dimension und das ist die, dass sich kein Staat der Welt die Grundrechte aussuchen kann.

In Freiheit zu leben, bedeutet in ganzer Freiheit zu leben. China ist unfrei: obwohl sich dort immer mehr Menschen wirtschaftlich verwirklichen können, können sie das eben nicht politisch oder gesellschaftlich tun, dürfen nicht so viele Kinder haben, wie sie wollen und ihre Meinung nicht immer frei äußern. In diesem Sinne wird auch die westliche Welt unfrei: Wenn westliche Staaten ohne Verdacht persönliche Daten speichern und erfassen und die Bürger bei allem, was sie online tun, über die „virtuelle Schulter“ schauen müssen, dann verschwindet die Freiheit.

In diesem Sinne ist auch die gerne vorgenommene Trennung in „marktliberal“ und „bürgerrechtsliberal“ gar nicht möglich. Ich bin entweder liberal oder ich bin es nicht. Entweder ich aktzeptiere, dass Menschen mündig sind und eigene Entscheidungen treffen oder ich tue es nicht. Ob die das im Hinblick auf wirtschaftliches Handeln tun oder privat hat damit nichts zu tun. Was zwei mündige Menschen miteinander ausmachen ist einzig und allein ihre Sache. Ob das ein Arbeitsvertrag, ein Unternehmenskauf oder eine Einigung über sexuelle Vorlieben ist: Es geht den Staat nichts an.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich darf und muss der Staat eingreifen. Immer dann wenn einer der handelnden oder ein direkt betroffener Dritter sich nicht selbst schützen kann. Deshalb endet die sexuelle Selbstbestimmung bei Minderjährigen und deshalb darf eine Bank ihren Kunden nicht alles verkaufen, was sie vielleicht einer anderen Bank verkaufen dürfte. Deshalb sind Kartelle und Monopole verboten.

Aber im Grundsatz bleibt es dabei: Nur in einem unfreien Staat ist es möglich, einen Menschen für wirtschaftlich mündig zu erklären und ihm politisch-soziale Teilhabe zu verwehren, wie es die Chinesen tun. Und ebenso ist es nur in einem Klima der Unfreiheit möglich, den Menschen zwar eine freie politische Wahl zu lassen und frei seine Meinung äußern zu können, ihm aber für sein wirtschaftliches Handeln etliche Ketten anzulegen und geheimdienstlich zu überwachen.

Freiheit ist eben unteilbar. Und wenn  auch nur ein wichitiges Grundrecht nicht gewährt ist, dann sind auch alle anderen wertlos.

Ein hervorragendes Ärgernis

Es ist schon ärgerlich, wenn man einen Blog beginnt, 100 Ideen hat, was man schreiben könnte und es nur irgendwie nicht schafft, seine Ideen zu strukturieren und zu Papier zu bringen. Und dann kommt jemand anderes daher, und hält mit fast genau den Formulierungen, die man im Kopf hatte, eine vielbeachtete Rede. Mist! Oder auch nicht.

Es geht um die die Reden von Christian Lindner zum außerodentlichen Bundesparteitag der FDP. Da war genau das drin, worüber ich hier eigentlich schreiben wollte: Dass liberal heisst, den Menschen sich selbst sein zu lassen und seine eigene Kreativität zu nutzen. Dass eine Politik, die von den „kleinen Leuten“ spricht, diesen schon in der Formulierung die Selbstbestimmung absprich und sie daher entmündigt. Dass es auf soziale Fragen eben auch andere Antworten als sozialdemokratische geben kann. Er hat sogar das Kennedy-Zitat „Freiheit ist unteilbar“ aufgenommen, über das ich dann halt jetzt im nächsten Artikel schreiben werde.

Ich bin als Lindner-Skeptiker nach Berlin gefahren. Zurück komme ich, nein, nicht als Fan. Es muss viel passieren, bis ich Fan eines Politikers werde. Aber ich bewundere ihn. Dafür, dass er den Mut hat, die Selbstverständlichkeit auszusprechen, dass liberal eben nicht in der Mitte zwischen „Rechts“ und „Links“ steht, sondern eine eigenständige politische Idee ist. Dafür, dass er auch abstraktere liberale Ideen anzusprechen wagt. Und schließlich und vor allem dafür, dass er das auch griffig formulieren kann.

Veggie Day revisited

Das Thema ist ja eigentlich durch; spätestens seit der Wahl, spätestens seit klar ist, dass es einer der Gründe für das unerwartet schlechte Abschneiden der Grünen ist. Aber es ist so ein schönes Beispiel dafür, was „liberal“ bedeuten kann und warum staatliches Eingreifen so oft das Gegenteil davon ist.

Hinter der Forderung, alle staatlichen Kantinen sollten an mindestens einem Tag in der Woche ausschließlich vegetarisches Essen anbieten, verstecken sich drei Ebenen: Eine inhaltliche, eine ordnungspolitische und eine philisophische. In der Debatte um den Veggie Day wurden bestenfalls die ersten beiden diskutiert.

Die inhaltliche Ebene beinhaltet die Frage, ob es richtig/sinnvoll/wünschenswert ist, einmal in der Woche vegetarisch zu essen. Zu ihrer Beantwortung müssen wir nicht in die aktuell beliebte Debatte über Vegetarismus oder andere Ernährungsformen abdriften: Sie lässt sich ganz einfach mit einem vollumfänglichen „Ja“ beantworten. Die Erkenntnis, dass es sinnvoll und gesund ist, nicht jeden Tag Fleisch zu essen, bedarf keiner der aktuellen Rechtfertigungen (tiefreundlich, sparsam, gegen Foodkonzerne, kreative Küche, undsoweiter) oder wissenschaftlicher Studien über die gesundheitsschädigende Wirkung übermäßigen Fleischkonsums. Sie ist schlicht Common Sense. Daher führen auch alle Argumente für eine vegetarische Ernährung in Zusammenhang mit dem Veggie Day ins Leere: Kein Mensch würde allen Ernstes behaupten, es sei falsch, mindestens einmal in der Woche vegetarisch zu essen.

Damit kommen wir auf die ordnungspolitische Ebene, und hier wird’s spannender. Es geht um die Frage, ob der Staat das Recht hat, seinen Bürgern die vegetarische Ernährung auch nur für einen Tag in der Woche vorzuschreiben. Die Antwort ist ein klares „Nein“. Die genannten Gründe für vegetarische Ernährung an einem Tag in der Woche, geben dem Staat noch lange nicht das Recht, das auch gesetzlich vorzuschreiben. Denn was ich esse, ist immer meine eigene Entscheidung und ja, ich habe das Recht, mich ungesund zu ernähren. Etwas abstrahiert: Der Staat hat immer dann das Recht – und dann übrigens meistens die Pflicht – in die private Lebensgestaltung einzugreifen, wenn davon die Lebensgestaltung eines Dritten konkret beeinflusst wird. Inwieweit das im Falle des Veggie Days der Fall sein sollte, bleibt schleierhaft. Wobei besorgniserregend ist, dass genau diese entscheidende Frage als Test für ein staatliches Eingreifen nach meinem Wissen in der Debatte auch von Befürwortern des Veggie Days noch nicht mal erörtert worden ist.

Das bring uns zu der philosophischen Ebene, und der entscheidenden Frage inwieweit denn ein Veggie Day mit den Grundpfeilern der liberalen, rechtstaatlichen Demokratie vereinbar oder eben nicht vereinbar ist. Hier gibt es einen Gedanken, der über den eben genannten ordnungspolitischen hinausgeht; ein schlicht logisches Argument, aus dem sich fast zwangsläufig ergibt, dass ein Veggie Day in der vorgeschlagenen Form und im Übrigen jedes staatliche Eingreifen in die indivduelle Lebensgestaltung nicht nur dem liberalen Grundgedanken der persönlichen Freiheit zuwiderläuft, sondern im eklatanten Widerspruch zum Gedanken der Demokratie steht.
Die Grundannahme der Demokratie ist, dass jeder Bürger in der Lage ist, alle vier Jahre eine freie Entscheidung darüber treffen zu können, an wen er seine Macht (die geht ja bekanntlich vom Volke aus) deligiert. Eine Wahl ist genau diese Entscheidung, nichts anderes. Damit setzen wir in der Demokratie sehr viel voraus, vor allem die Fähigkeit jedes Bürgers, sich zu Informieren und auf Basis fast zwangsläufig unvollständiger Informationen eine Entscheidung über die Zukunft zu treffen. Wir messen dieser Entscheidung eine hohe Bedeutung bei, sie ist die Grundlage für das entscheidende politische Handeln in einer Legislaturperiode.
Was das mit dem Veggie Day zu tun hat? Wenn wir dem Wähler zutrauen, eine so wichtige Entscheidung zu treffen, müssten wir ihm dann nicht auch zutrauen, zu entscheiden, was er wann, wie und in welcher Menge isst?

Zusammen ergibt sich daraus ein Test für die Grenzen der Legitimation staatlicher Regulierung: Wann immer sie Entscheidungen betrifft, die ein Mensch mit sich alleine ausmachen muss, steht sie nicht nur im Widerspruch zur individuellen Freiheit. Sie ist auch nicht mit der Grundannahme der Demokratie vereinbar.

Verblüffungsresistenz

Dieses schöne Wort hat Jan Fleischhauer mal verwendet, als er sich über die Aufregung wunderte, mit der „die Linken“ auf alles mögliche reagieren: Er wünschte den Linken mehr davon.

Das würde ich gerne den Journalisten wünschen. Denn ist es wirklich so überraschend, dass Jeff Bezos die Washington Post kauft? Gleiches gilt für die Debatte um die Zukunft der Zeitung. Zwar gibt es immer mehr Journalisten, die zurecht daran erinnern, dass die vielbeschworene „Bedrohung“ der gedruckten Tageszeitung durch Internet und Apps vor allem in den Köpfen ihrer Kollegen bestehen. Nur sagen auch die, bei aller sprachlichen Brillanz ihrer Artikel auch nichts neues. Douglas Adams hat, sprachlich übrigens mindestens genauso schön, das gleiche schon Ende der 90er geschrieben:

  • Zum Problem der Zeitungen im Besonderen:

    The thing we leave out of the model is, essentially, just a lot of dead wood.

  • Zum Informationsaustausch im Internet im Allgemeinen

    Of course you can’t ‘trust’ what people tell you on the web anymore than you can ‘trust’ what people tell you on megaphones, postcards or in restaurants. Working out the social politics of who you can trust and why is, quite literally, what a very large part of our brain has evolved to do. For some batty reason we turn off this natural scepticism when we see things in any medium which require a lot of work or resources to work in, or in which we can’t easily answer back – like newspapers, television or granite. Hence ‘carved in stone.’ What should concern us is not that we can’t take what we read on the internet on trust – of course you can’t, it’s just people talking – but that we ever got into the dangerous habit of believing what we read in the newspapers or saw on the TV – a mistake that no one who has met an actual journalist would ever make.

Wir haben es nicht besser verdient?!

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich hiermit einverstanden bin: Die Chefredakteurin von CNN.com erklärt, warum sie ein eher boulevardekes Thema als Aufmacher bringt. Ihre Begründung: Weil wir – die User – es sehen wollen. Woher sie das weiß? Weil wir es anklicken. So verdient CNN, wie jede andere Nachrichtenseite auch, ihr Geld.

Da ist viel Wahres dran, im Grunde spricht es mir aus der Seele. Fast alles was auf der Welt geschieht, geschieht, weil wir (die Konsumenten in den Industrieländern) es so wollen. Und weil uns eben das laszive Getanze von Miley Cyrus mehr interessiert als der drohende Krieg in Syrien, ist das eben auch der Aufmacher auf CNN.

Ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob wir von einem Journalisten nicht mehr erwarten dürfen. Denn sein Job ist es doch, uns die Dinge zu erzählen und zu vermitteln, die wir nicht wissen und manchmal auch lieber nicht wissen wollen. Das ist zwar ein hoher Anspruch, aber einer, von dem fast jeder Journalist, den ich bisher kennengelernt habe auch meint, ihn zu haben. Insofern würde ich Frau Artley zwar für Ihre Ehrlichkeit loben: Sie behauptet gar nicht mehr, dass es ihr um journalistische Qualität geht. Der Markenauftritt von CNN tut das aber – sie zitiert selbst den Claim von CNN “The Worldwide Leader in News” zu sein. Auch alle anderen Nachrichtenseiten behaupten, in irgendeiner Form Nachrichten – und damit Wahrheiten – zu vermitteln. Tatsächlich sind aber auch sie alle „Klickmaschinen“.

Bei jeder anderen Webseite wäre das in Ordnung. Aber wer behauptet, Nachrichten zu machen, der soll das auch tun. Wer behauptet, Journalist zu sein, der sollte auch einordnen, was wichtig ist. Und nicht nur zeigen, was die meisten Klicks bringt.