Letzte Woche hat die GDL mit ihrem 8. Streik den Bahnverkehr in Deutschland weitgehend lahmgelegt. Diesmal für ganze sechs Tage. Die ganz große Wut blieb aus – vermutlich weil wir uns schon dran gewöhnt haben. Der Popularität der GDL und ihrem Vorsitzenden Claus Weselsky hat es trotzdem nicht geholfen: Die meisten Deutschen halten den Streik für maßlos überzogen. Insgeheim hoffen sie wohl auf das Tarifeinheitsgesetz, nachdem die GDL zwar weiter für die Lokführer verhandeln und streiken darf, die sie mehrheitlich vertritt. Für die andere Berufsgruppen wäre dann die EVG exklusiv zuständig.
In diesem Tarifeinheitsgesetz und in der harschen Kritik an Herrn Weselsky sehen nun einige Warner, allen voran der unermüdliche Jakob Augstein, einen Angriff auf die Grundrechte, namentlich das Streikrecht. Das sei ja schließlich im Grundgesetz verankert. Also darf die GDL streiken. Egal wie lang, egal wofür, egal mit welchem Schaden für den Rest der Welt.
So einfach ist die Sache nicht. Jedes Grundrecht hat Grenzen. Niemand käme auf die Idee, dass diese Grenzen das Grundrecht grundsätzlich in Frage stellen würden: Das Eigentum verpflichtet zur Verantwortung (eine Einschränkung, die Herr Augstein zweifelohne begrüßen wird), und natürlich ist es richtig, dass der Eigentümer einer vermieteten Wohnung mit seinem Eigentum nicht machen darf, was er will, sondern auf die Bedürfnisse des Mieters Rücksicht nehmen muss. Die Versammlungsfreiheit ist eingeschränkt: Demonstrationen müssen genehmigt werden. Selbst wenn es keine rechtlichen Einschränkungen eines Grundrechtes gibt, gibt es klare Grenzen. Mein Recht auf freie Meinungsäußerung endet an der natürlichen Grenze der Beleidigung meiner Mitmenschen. Es gibt alle möglichen Bezeichnungen für Herrn Augstein, die mir einfallen würden, aber das heisst nicht, dass ich ihn öffentlich so nennen darf.
Wie jedes andere Recht auch, darf das Streikrecht also eingeschränkt werden. Und wenn die Gewerkschaften schon mit dem Sonderrecht ausgestattet sind, Streiken zu dürfen, dann müssen sie damit auch verantwortungsvoll umgehen. Wenn sie dieser Verantwortung nicht gerecht werden, darf der Staat natürlich einschreiten. Das tut er bei jedem anderen auch: Bei Unternehmern, Bürgern, Autofahrern.
Jetzt ist die Frage: Was ist verantwortungsvoll? Die zu beantworten, ist nicht ganz einfach. Sie ist es vor allem deshalb nicht, weil sie nicht nur die beiden Konflikparteien, also Gewerkschaft und Unternehmen, berührt, sondern auch und insbesondere den Rest der Gesellschaft; grade im Falle eines Bahnstreiks. Ein einfache Antwort gibt es nicht, nur soviel: Sie lautet sicherlich nicht, dass die Gewerkschaft auf jeden Fall streiken darf. Noch ist die Rechtslage so, dass das Streikrecht sehr weit reicht. Das Tarifeinheitsgesetzt wird dies zulasten einzelner Gewerkschaften verändern.
Am Ende des Tages geht es, wie eigentlich immer, wenn es um Machtfragen geht, um Legitimation. Nicht für das Streikrecht an sich, aber für den konkreten Streik. Ist es legitim, den Bahnverkehr für eine Woche stillzulegen, um eine Berufsgruppe zu repräsentieren, die in der Mehrzahl gar nicht von der streikenden Gewerkschaft repräsentiert werden will? Eher nein.