Mich lässt die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen nicht los. Ich bin enttäuscht, irritiert und verärgert. Über vieles, nicht nur über die FDP.
Die etwas reflexhafte rhetorische Keule, die jetzt ausgepackt wird, („Schande“) und das nicht nur für die FDP als Institution sondern auch für jedes einzelne Mitglied, ist sicherlich auch kein Musterbeispiel für zivilisierten politischen Diskurs. Wer das Wort „Schande“ leichtfertig in den Mund nimmt, sollte mit Nazivergleichen vorsichtig sein – und die sind aktuell ja schwer in Mode. Und die Heftigkeit der Kritik weckt in mir eine Abwehrhaltung, einen Wunsch die FDP zu verteidigen – blöderweise in einer Situation, in der es nichts zu verteidigen gibt.
Ich weiß nicht, ob das, was in Thüringen passiert ist, wirklich ein Dammbruch oder ein Tabubruch war. Für mich war es vor allem eins: Ausdruck der politischen Dummheit der FDP. Und damit leider kein Einzelfall.
Ich muss etwas ausholen und drei kleine Geschichten erzählen:
Vor 13 Jahren stand ich bei einer recht kleinen Feier mal mit Guido Westerwelle beim Bierchen. Ich fragte ihn, woran es denn läge, dass die FDP immer nur mit wirtschaftspolitischen Themen in der Presse stünde und die Bürgerrechtsthemen untergingen. Ob das daran läge, dass die FDP letztere nicht mehr besetze oder ob diese einfach nur nicht medial transportiert würden. Westerwelle hielt dann eine kurze Parteitagsrede über die FDP als Bürgerrechtspartei. Für mich war klar: Er hatte nicht verstanden, dass es einen Unterschied zwischen dem Selbstbild einer Partei und ihrer Darstellung in den Medien gibt. Ich war entsetzt: Dem Bundesvorsitzenden der FDP war nicht klar, dass einen fundamentalen Unterschied zwischen seinen Inhalten (vereinfacht: Bürgerrechte!) und deren Wahrnehmung in Medien und Öffentlichkeit (vereinfacht: Steuern runter!) gibt. Ihm war noch nicht mal die Möglichkeit bewusst.
Zweite Geschichte: Dennoch gelingt es Guido Westerwelle 2009 das beste Wahlergebnis der FDP in ihrer Geschichte einzufahren. Und was passiert? In der völlig naiven Fiktion eines bürgerlichen Lagers startet die FDP in die Koalitionsverhandlungen und ist überrascht, dass sie nicht einfach alles bekommt, von dem sie denkt das es ihr zustünde. Am Ende der Koalitionsverhandlungen hatte – ich vereinfache stark – Seehofer (mit dem schlechtesten CSU-Ergebnis aller Zeiten), das Betreuungsgeld durchgedrückt und Westerwelle war stolz, „den Horst“ jetzt zu duzen. Die Quittung kam in der Wahl 2013.
Dritte Geschichte: 2017 hatte die FDP es geschafft, nicht nur wieder in den Bundestag einzuziehen sondern mit Jamaika in einem spannenden, wenn auch schwierigen Bündnis Verantwortung zu übernehmen. Offensichtlich war die Erwartung die gleich wie 2013, nämlich dass die Verhandlungspartner der FDP einfach geben würden, was sie will. Währenddessen holen die Grünen mit Jürgen Trittin einen erfahrenen Verhandler aus der Mottenkiste, der in den Jahren davor und danach genau gar keine Rolle spielt, aber eben Koalitionsverträge verhandeln konnte. Die FDP hatte dem nichts entgegenzusetzen und brach mit einem beleidigten Mimimi die Koalitionsverhandlungen ab. Professionalität? Fehlanzeige! Dass sich die Führung dann in den völlig unsinnigen Satz „Lieber nicht regieren, als schlecht regieren“ versteift hat, mag Balsam auf die Seele der FDP Basis gewesen sein, die den Grünen bis heute nicht verzeiht, in den traditionell liberalen jungen Großstadteliten zu wildern. Fast jeder, den ich 2017 überzeugt hatte, erstmals FDP zu wählen war danach enttäuscht.
Diese Geschichten zeigen – jede für sich und als Gesamtbild – wie schwer sich die FDP damit tut, den Unterschied zwischen eigenen Inhalten und Zielen und der Außenwirkung zu erkennen und damit gut umzugehen. Ihr fehlt die Erkenntnis, dass es in der Politik nun eben erst mal zweitrangig um Inhalte geht, sondern um Macht und politisches Geschick, nicht nur die richtigen Dinge zu tun sondern für diese auch Unterstützung zu gewinnen. Und es fehlt ihr an dem Geschick, die Gratwanderung zwischen Macht und Integrität so zu schaffen, dass sie einerseits so viel Macht findet um was zu bewegen, andererseits sich dabei aber nicht völlig verliert.
Nach allem, was ich bisher über „Thüringen“ gelesen habe, ist genau das mal wieder gründlich schiefgelaufen. Aus inhaltlichen Überlegungen mag es richtig gewesen sein, das Feld eben nicht der AfD und der Linken zu überlassen. Die – jetzt nachgeschobene – Argumentation von Kemmerichs Apologeten, dass es ein politisches Angebot aus der Mitte geben muss, spricht auch mir aus der Seele und müsste das eigentlich auch jedem Demokraten tun.
Diese Argumentation übersieht aber, dass ein mit Unterstützung der AfD oder anderer Rechtsaußenparteien gewählter Ministerpräsident in Deutschland zurecht ein politisches Tabu ist. Sie übersieht, dass es völlig unerheblich um nicht zu sagen wurscht ist, ob diese Unterstützung gewollt ist. Sie übersieht, dass diesem Ministerpräsidenten zumindest subjektive Legitimität fehlt. Und ja, sie übersieht, dass die Wahl in Thüringen in der Wählerwahrnehmung eben nicht nur Thüringen ist, sondern dass die FDP, die nicht mit Grünen und CDU regieren wollte, jetzt mit „Rechten“ gemeinsame Sache macht. Und dabei ist völlig unerheblich, ob sie das tatsächlich oder eben nur „gefühlt“ tut.
Vor allem aber ist erschreckend, dass Herrn Kemmerich diese Konsequenz offensichtlich nicht klar war. Und sie ist es offensichtlich auch vielen meiner Parteifreunde nicht (fairerweise: es gibt durchaus auch prominente FDP-ler, die ganz klar einen Rücktritt Kemmerichs fordern). All das zeigt wieder das Kernproblem der FDP: Ihr fehlt die Fähigkeit, die politisch richtige Balance zwischen Macht und Inhalten zu finden. Sie ist, in zwei Worten, politisch unreif.
Was mache ich als überzeugter Liberaler und Parteimitglied damit? Ich weiß es um ehrlich zu sein nicht. Natürlich liegt der Parteiaustritt nahe. Aber bei aller Unerfahrenheit bleibt die FDP die einzige Partei in Deutschland, die wenigstens hin und wieder versucht, den einen oder anderen liberalen Impuls zu setzen. Ich werde noch ein paar Nächse drüber schlafen. Aber es hängt sehr viel davon ab, was Thomas Kemmerich jetzt tut. Er hat es in der Hand, sich ganz klar abzugrenzen, sei es durch Neuwahlen, sei es durch eine Politik, die es der AfD unmöglich macht, ihn weiterhin zu unterstützen. Wobei, jetzt bin ich der Versuchung der politischen Naivität aufgesessen: Ohne Hausmacht kann ein Ministerpräsident in einer parlamentarischen Demokratie nicht regieren. Es bleibt also nur eine Möglichkeit: Der Rücktritt.