Ich habe eine Nacht drüber geschlafen. Ich trete nicht aus der FDP aus. Ich bin sogar mit ein bisschen mehr Überzeugung dabei. Hier sind die Gründe:
Erstens: „Thüringen“ war ein gravierender Fehler. Aber für mich hat die Reaktion der FDP auf allen Ebenen in den letzten Tagen gezeigt, dass er – ich hab’s gestern schon geschrieben – politischer Dummheit und nicht inhaltlichen oder machtpolitischen Überlegungen geschuldet war. Das macht die Sache zwar nicht gut und zeigt erheblichen Handlungsbedarf. Aber es ist eben auch keine Schande, kein Dammbruch, kein Tabubruch. Gelitten hat vor allem die FDP. Viel, viel mehr als die Demokratie.
Zweitens: Die FDP ist mit diesem Fehler so schonungslos umgegangen, wie Organisationen seltenst mit Fehlern umgehen, mir fällt spontan nichts vergleichbares ein. Zugegeben, auch der Fehler ist ziemlich einmalig. Aber die FDP hat gestern auch viele ihrer Mitglieder vor den Kopf gestoßen, die sich ernsthaft einen FDP Ministerpräsidenten gewünscht hatten und für die ein Ministerpräsident der Linken auch ein erheblicher Schmerz ist. Dass dieser Schmerz mit der Zusammenarbeit mit der Höcke-AfD nicht vergleichbar ist, weiß ich. Aber für viele in der FDP ist er das. Das gefällt mir nicht, ist aber ein politischer Fakt. Genauso wie der, dass eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD nicht geht. Ich kenne keine andere Partei, die mit ihren eigenen problematischen Flügeln, und die gibt es in jeder Partei, auch nur im Ansatz so umgegangen wäre, wie es die FDP gestern mit ihrem nationalliberalen Flügel getan hat.
Drittens: Die FDP ist tatsächlich die Anti-AfD. Der Satz ist oft gefallen, aber selten erklärt worden. Das will ich tun. „Identity Politics“, also Politik die recht kompromisslos die Interessen einer vermeintlich oder konstruiert homogenen Gruppe vertritt, ist eines der Übel unserer Zeit. Wir sehen das bei der AfD (hier taucht auch das Wort „identitär“ auf) und recht offensichtlich bei allen Rechtspopulisten in Europa und anderswo. Aber auch jede andere Partei neigt dazu, „identitäre“ Politik zu machen, indem sie sich an vermeintliche homogene Gruppen wendet und diese immer wieder auch gegen „die anderen“ ausspielt. Was bei den Rechten „die Nation“ ist,
- ist bei den Linken „die Klasse“, „das Kollektiv“, oder – moderner – „the 99%“,
- ist bei den Grünen „die Klimabewegung“ (es war mal „die Friedensbewegung“)
- ist bei den Konservativen „das Land“, „die Leitkultur“, oder was ihnen auch immer einfällt, ich verstehe konservative Politik einfach nicht.
Das ist alles sicherlich viel wohlmeinender, sicher auch sympathischer und vor allem auch berechtigter als die „Nation“ der Rechtsaußen. Aber es ist auch immer Politik, die das Individuum in seiner Einzigartigkeit einer wie auch immer gearteten Gruppe unterordnen will. Und damit die urliberale Idee eines mit unveräußerlichen Rechten ausgestatteten Menschen als Basis der politischen Willensbildung angreift. Auch der FDP gelingt das nicht immer und meine persönliche Frustration mit der Partei kommt neben der gestern schon beschriebenen politischen Dummheit insbesondere auch daher, dass erschreckend wenige Menschen in der FDP das wirklich verstehen. (Das alles erinnert mich daran, dass ich seit Monaten mal sauber aufschreiben will, was ich damit genau meine, sozusagen mein persönliches liberales Manifest. Ich werde es tun).
Aber es bleibt dabei: Die FDP ist die einzige Partei, die dafür einsteht, dass der Mensch immer wichtiger als die Gruppe ist. Und vor allem darum ist sie meine politische Heimat!
Viertens möchte ich neben diesem recht abstrakten Punkt drei zwei konkrete Beispiele und Personen nennen:
- Wohnungspolitik: Es ist offensichtlich, dass hier erheblicher Handlungsbedarf besteht. Es ist eine der großen Ungerechtigkeiten, vielleicht die größte, unserer Zeit, dass der Erwerb der eigenen Wohnung für die allermeisten Menschen ein zunehmend unerfüllbarer Traum ist. Auch adäquate Mietwohnungen sind für immer mehr Menschen immer schwerer zu bekommen. Hier leistet Daniel Föst im Bundestag unermüdliche Arbeit, das Problem wirklich in den Griff zu kriegen echte Lösungen zu finden und dabei nicht in populistischen Regulierungsträumen zu versinken!
- Klimapolitik: Kein FDP-Kernthema aber die globale Herausforderung unserer Zeit. Auch hier kämpft mit Lukas Köhler ein FDPler um echte Lösungen, die die nicht ganz unwichtige Nebenbedingung erfüllen, den Wohlstand unserer Welt nicht in Gefahr zu bringen.
- Steuerpolitik: Das muss auch noch sein, auch wenn es eher Gähner hervorruft. Aber wenn der Staat Rekordüberschüsse erzielt und ein Facharbeiter den Spitzensteuersatz zahlt, gibt es ganz sicher Handlungsbedarf. Christian Lindner tut gut daran, hier immer wieder den Finger in die Wunde zu legen. Auch wenn er dabei etwas rumpelstielzchenhaft wirkt.
Und so sehr es mich schmerzt, dass die FDP durch „Thüringen“ echten Schaden genommen hat: es gab gestern auch eine endgültige Distanzierung von nationalliberalen Ideen und Machtansprüchen. Der liberalen Idee, deretwegen ich in der FDP bin, kann’s nur gut tun.