Ein Freund von mir hat diesen Artikel aus der TAZ zum Hintergrund der aktuellen Mietpreissteigerungen in deutschen Großstädten bei Facebook gepostet. Und er hat ihn als Beispiel für gelungenen Qualitätsjournalismus gepriesen. Damit hat er gleich zwei Themen angesprochen, die mich schon länger sehr bewegen. Das bringt mich dazu, zum ersten Mal seit langem mal wieder in die Tasten zu greifen und ein paar Gedanken dazu niederzuschreiben. Da ich fürchte, dass das alles in allem etwas länger und konfus wird, werden zwei Posts draus. Ich fange mit dem einfacheren Sachthema zur Wohungsnot an und komme dann – an dem Beispiel – zum Qualitätsjournalismus.
Dass die Mieten und auch die Preise in deutschen Großstädten exorbitant steigen, ist kein Geheimnis. Ich gehöre nach jeder Statistik zu den Besserverdienenden dieser Republik und kann mir in München keine Wohnung kaufen. Auch nicht mehr wirklich eine mieten, die mir das Gefühl gäbe, als Besserverdiendender – was immer das auch genau heißen mag – in München zu leben. Seitdem die Mietpreisbremse Gesetz geworden ist, gibt’s eine tolle Debatte darüber woran’s liegt und was man dagegen tun kann. Hier also meine Analyse und daraus abgeleitet, was man dagegen tun kann.
Soweit ich das sehe, gibt’s drei wesentliche Gründe für die Situation. Ein vierter baut auf den drei ersten auf und verschlimmert die Situation. Es mag übrigens noch etliche weitere geben, aber die vier scheinen mir die wesentlichen zu sein:
Erstens: Wir wollen wieder in den Städten leben
Seit der Jahrtausendwende wollen mehr Menschen in den Städten leben. Das entscheidende Wort ist wollen. Sie müssen in der Regel nicht. Aber Städte bieten viel und in Deutschland bieten sie neben dem, was Städte immer bieten – Kulturangebot, Nachtleben, Unabhängigkeit (vor allem vom Auto) – auch noch gute Freizeitmöglichkeiten. Fast jede deutsche Großstadt hat ein nahes grünes Umland. Es ist deutlich einfacher, in der Stadt lebend ins Grüne zu fahren, als andersrum. Dazu kommt das globale Thema des Urban Renewal, junge Familien leben lieber in der Stadt als der Vorstadt. Das ist Zeitgeist und als solcher wunderbar – alles gut und in Ordnung. Wichtig ist noch, dass dieser Trend grade in Deutschland wirklich vom Wollen und nicht vom Müssen kommt. Grade hier gibt’s Jobs auch auf dem Land. Der berühmte Mittelstand sitzt zumeist nicht in den Städten und schon gar nicht in den Metropolen. Der hat Probleme Mitarbeiter zu finden. Ich hab grade versucht, Designer in der Region Regensburg zu finden – mithin eine Boomregion. Aussage der Personaler: In Berlin und München wäre das einfacher und billiger. Und der vielzitierte Ärztemangel auf dem Land ist auch ein Indiz, dass junge Menschen in die Stadt wollen. Die Nachfrage nach Wohnraum in den Städten steigt also.
Zweitens: Wir verknappen das Angebot
Gleichzeitig passieren aber viele Dinge, die das Bauen erschweren. Und viele Dinge passieren nicht, die das Bauen erleichtern würden. Denkmalschutz wegen der schönen Viertel. Energetische Sanierung für die Umwelt. Keine Nachverdichtung wegen der Grünflächen. Keine Aufstockungen wegen des Stadtbildes. Brandschutz. Kiezschutz. Die Liste lässt sich fortsetzen. All das sind konkrete Beispiele für die vielgescholtene Baubürokratie. Vom Bürokratieabbau zu reden ist einfach. Aber stellen wir uns mal den Politiker vor, der eine der obenstehenden Maßnahmen wirklich umsetzen wollte. In dessen Schuhen möchte ich auf keiner Bürgervesammlung stecken. Und es ist ja auch so: alle obenstehenden Bauhindernisse haben ja gute Gründe und beruhen auf richtigen Anliegen. Aber sie haben eben zusammen die Folge teuren Wohnens.
Jetzt gäb’s noch einen zweiten Weg, das Angebot zu steigern, nämlich die Städt zu vergrößern. Und zwar physisch, in dem wir am Stadtrand bauen oder logisch, in dem wir bessere Verkehrsanbindungen aus dem Umland schaffen. Wer alle 10 Minuten in 20 Minuten mit der S-Bahn in der Innenstadt ist, muss vielleicht nicht in der Innenstadt wohnen. Aber bei beidem stoßen wir wieder auf die gleichen Widerstände: Der physischen Vergrößerung stehen die Grüngürtel im Wege und die Verkehrsanbindung will auch keiner. Neue und breitere Straßen sind in Zeiten des Dieselskandals irgendwie falsch. Und auch ÖPNV ist nicht richtig, denn das klingt nach Großprojekt à la Stuttgart 21.
Schönes Beispiel für all das ist mein Viertel Haidhausen, der Prenzlauer Berg Münchens. Genannt: NIMBY Central. (NIMBY steht für „not in my back yard“ und meint, dass Menschen gerne gegen Dinge sind, die sie an sich gut finden, sobald sie selbst davon betroffen sind). In dem innenstadtnahen Viertel in einer Spätphase der Gentrifizierung ist noch ein Hauch von alternativem Lebensgefühl geblieben. Die Wohnungen werden saniert, die Cafés hipsteriger, die Autos dicker und die Dichte an Lastenfahrrädern wächst. Alle beschweren sich über die Mieten. Wenn ich von meinem acht Jahre alten Vertrag mit 12 Euro brutto kalt den Quadratmeter erzähle, sehe ich Neid in den Augen der neueren Mieter. Dass es viele ältere Mieter gibt, die die 12 Euro für teuer halten, versteht sich von selbst. Und hier passiert jetzt all das (nicht), was Druck von den Mieten nähme: Nachverdichten: Nein. Höher Bauen: Nein. Die Rosenheimer Straße, eine große Ausfall- oder besser Einfallstraße, die durch’s Viertel führt wird von vier auf zwei auf zwei Spuren verschmälert; das ist gut für die Radfahrer in Haidhausen aber schlecht für die Pendler aus der Vorstadt. Die zweite S-Bahn-Stammstrecke, die das Umland viel besser mit München verbinden würde ist Anathema. Da braucht sich niemand mehr zu wundern, wenn die Mieten steigen, wenn, siehe erstens, immer mehr Menschen nach München kommen.
Drittens: Die Finanzkrise
Die muss ja als Sündenbock für fast alles herhalten, aber hier ist es wirklich mal gerechtfertigt und das gleich mehrfach. Als 2008 erstmal die Aktienmärkte zusammenbrachen und dann 2010/11 mit der Griechenlandkrise auch Staatsanleihen nicht mehr so ganz sicher waren (zumindest die mit nennenswerten Zinsen) haben Anleger aus aller Welt nach sicheren und renditeträchtigen Anlagen gesucht. Und sie fanden sie in Immobilien. Als klar wurde, dass Deutschland als Exportweltmeister aus der Finanzkrise eher gestärkt hervorging, schauten sie nach Deutschland. Hier fanden sie den ersten Trend und setzten logischerweise auf Wohnimmobilien in den Städten. Da nun auch die Zinsen niedrig waren, konnten sie kaufen, wie sie wollten. Noch mehr Nachfrage, steigende Preise. Steigende Preise heißt dann aber auch, dass der Anleger mehr verdient, wenn er teuer vermietet. Also zunächst mal mehr Luxuswohungen. Die steigende Nachfrage wird also „von oben“, sprich teuer zuerst, befriedigt. Solange sie steigt, solange wird auch luxussaniert. Das mag uns nicht gefallen, ist aber so. Würden wir als Anleger auch nicht anders machen. Hier sei mir kurz noch der Hinweis gestattet, dass hinter „Anleger“ eben nicht nur die berüchtigten „institutionellen Investoren“ stecken, sondern eben auch etliche Privatmenschen, denen die vermietete Eigentumswohnung in gute Lage zurecht als gute Altervorsorge erschien. Und auch hinter den „institutionellen Investoren“ steckt halt dann doch recht häufig die fondsgebundene Altervorsorge der Mittelschicht, die sich die Wohnung selbst vielleicht nicht mehr leisten kann. Ansonsten schreibe ich hierzu ein bisschen weniger, denn wie die Anleger so wirken, lässt sich auch in obenstehendem TAZ-Artikel nachlesen.
Viertens: Die Spekulanten
Die Situation aus den ersten drei Punkten ist ein toller Nährboden für Spekulanten. Wenn die Nachfrage steigt, das Angebot knapp ist aber viel Geld im Markt, dann ist wirklich gut spekulieren. Dann kann der Spekulant schnell viel Geld bereitstellen um Wohnungen zu kaufen. Er kann davon ausgehen, dass der Wert steigt. Er kann, im Gegensatz zum Privatmann, die Kosten des Erwerbs (Makler, Notar etc) steuerlich geltend machen. Dann hat es auf einmal Sinn, Wohnungen zu entmieten und sie auch länger leerstehen zu lassen. Der Spekulant wird sie ja später auch noch teuer los. Sprich, es passiert das, was der TAZ Artikel so wunderbar erzählt. Das muss ich hier nicht wiederholen. Aber der Spekulant kann das alles nur, weil vor allem die ersten beiden Trends so stark sind: Weil er sich sicher sein kann, dass die Nachfrage weiter steigt und dass die Bauvorschriften das Angebot weiter knapphalten. Gäb es eines von beidem nicht, hätte unser Spekulant nichts zum spekulieren.
Was zu tun? Bauen, Bauen, Bauen!
Dementsprechend ist’s auch wenig sinnvoll, nur bei den Spekulanten anzusetzen, wenn wir das Problem des fehlenden Wohnraums lösen wollen. Sicher, es mag helfen hier ein paar neue Regeln zu schaffen, um denen das Handwerk zu legen. Nur – siehe Punkt zwei – der Weg in die aktuelle Misere ist gepfalstert mit in guter Absicht erlassenen Regeln.
Das Kapital verteuern, damit der Anlagedruck als Folge der Finanzkrise sinkt? Ich will hier nicht auf die möglichen volkswirtschaftlichen Folgen einer Zinserhöhung eingehen, aber nur soviel: Das würde es dem ehrbaren Eigentumswohungserwerber auch eher schwer machen, eben dies zu tun. Und wenn die Kapitalkosten der Vermieter steigen, ist’s auch nur eine Frage der Zeit, bis die es schaffen, das auf die Mieten und Mieter abzuwälzen.
Was noch? Den Menschen verbieten, in die Städte zu ziehen? Eher nein. Ich fürchte, am ersten Trend können wir wenig ändern. Das ist ein Thema für sich aufregende Stammtische. Helfen tut’s nix.
Es führt kein Weg dran vorbei, vor allem dem zweiten Trend zu begegnen: Wir müssen bauen, bauen, und bauen. Mehr, höher, dichter. Und nicht nur Wohungen in Toplage, sondern auch Infrastruktur um mehr Wohngegenden attraktiv und stadtnah zu machen. Wie, ist eigentlich egal: Sozialer Wohnungsbau, Luxusobjekte und alles dazwischen. Die Regeln vereinfachen, die Verfahren verkürzen, die Einspruchsmöglichkeiten reduzieren. Das wird ganz sicher die eine oder andere Bausünde hervorrufen. Aber es wird dringend benötigten Wohnraum schaffen. Es ist vor allem das, wo jeder einzelne von uns, wo jeder Lokal-, Landes- und Bundespolitiker sofort was tun kann. Denn auf jeder Ebene gibt’s Vorschriften, die zu vereinfachen wären.
Was dagegen spricht? Unsere Städte werden sich verändern. Vielleicht nicht immer so, wie ihre Bewohner das wollen. Aber es wird, ganz sicher, gerechter. Weil es mehr Wohnraum geben wird. Für alle, nicht nur für die Reichen, die sich schon jetzt die Innenstädte leisten können.