Es ist eine herrliche Debatte. Der Bundespräsident weist darauf hin, dass es für einige Menschen schwer sein wird, Vertrauen in eine von der Linken geführte Landesregierung zu fassen. Prompt regen sich nicht nur die betroffenen Parteien, also die Linke und ihre Koalitionspartner SPD und Grüne auf. Kommentatoren allerorten werfen Herrn Gauck „Beleidigung des Wählers“ und „Missachtung der Demokratie“ vor.
Ich will gar nicht so sehr auf die Berechtigung von Gaucks Aussagen eingehen, das haben andere schon sehr treffend getan. Mir geht’s um das Demokratieverständnis der Kritiker, die sich immer darauf berufen, dass die Entscheidung des Wählers bedingungslos zu akzeptieren und nicht zu hinterfragen sei. Diesem dirigistischen Verständnis nach ist die Demokratie eine Art Diktatur der Mehrheit, also ungefähr das, was Herr Erdogan grade in der Türkei macht. Mit dem, was wir in Deutschland und in den anderen westlichen Demokratien haben, hat das aber – dankenswerterweise – nichts zu tun. Der Demokratie und dem Wählerwillen sind sehr wohl Grenzen gesetzt: Der Rechstaat, der festlegt, dass Gesetze auch für die demokratisch legitimierten Machthaber gelten und die liberalen Grundrechte, die quasi überstaatlich festgeschrieben sind. Bezeichnender Weise zeigt die von Linken geführte Scheindebatte über die DDR als nicht-Unrechtsstaat die gleiche dirigistische Denkweise in der Auslegung des Begriffes „Rechtsstaat“, die sie jetzt auch auf die Demokratie anwenden.
Es gibt noch etwas Drittes, eine Art überdemokratischer Moral: Unabhängig von der aktuellen Legitimation durch Wahlergebnisse müssen sich Personen und Institutionen die Frage gefallen lassen, inwiefern ihre eigene Geschichte sie für die Führung eines demokratischen, liberalen Rechtsstaates legitimiert. Nichts anderes hat Gauck getan.
Kurios ist an der ganzen Debatte, dass die Linken Herrn Gauck genau das vorwerfen, was sie selbst getan haben – wenn auch deutlich krawalliger als er. Ich halte es für die größte Leistung der Linken im Nachkriegsdeutschland, dass sie 1968 die demoktratisch gewählten Institutionen in der Bundesrepublik infrage gestellt haben, indem sie auf die persönliche Nazi-Vergangenheit einzelner Politiker und die mangelnde Aufarbeitung dessen in der politischen Kultur hingewiesen haben. Nichts anderes tut Gauck, indem er von der Linken verlangt, sich ihrerer Vergangenheit zu stellen. Deren Empörung ist also ganz offensichtlich nicht dem Schutz der Demokratie gewidmet sondern lediglich dem eigenen Machtgewinn. Vielleicht sogar noch, was schlimmer wäre, der posthumen Legitimation der eigenen, schrecklichen Vergangenheit.
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