„Demokratisch“ ohne „liberal“ ist wertlos.

Jetzt doch nochmal ein längerer inhaltlicher Post zu „Thüringen“. Eine für mich erschreckend große Zahl meiner Parteifreunde verbreitet auf Facebook immer noch die Meinung, die FDP hätte den Weg einer wie auch immer gearteten Minderheitsregierung unter Kemmerich gehen sollen. Die wesentliche Begründung lautet: Das sei eben eine demokratische Wahl. Das ist zwar richtig, aber unerheblich.

„Demokratisch“ ohne „liberal“ ist wertlos.

„Demokratisch“ gedacht mag es vorstellbar sein, sich von der AfD wählen zu lassen, „liberal“ ist es schlicht undenkbar!

Ich muss mal wieder ausholen und grundsätzlich werden:

„Demokratisch“ nennen sich fast alle Parteien, die in Deutschland antreten. Neben der FDP haben noch die beiden Volksparteien das „demokratisch“ im Namen, bei der Linken hatte es eine der beiden Gründungsparteien (PDS). Kein Mensch wird den Grünen ihre demokratische Gesinnung absprechen. Und selbst die AfD beansprucht für sich, demokratisch zu sein und – leider – hat sie grade in Thüringen aufgrund ihrer Wahlerfolge auch einen gewissen demokratisch legitimierten Machtanspruch.

Das Wort „demokratisch“ ist also recht beliebig: solange irgendeine Politik durch politische Mehrheiten legitimiert ist, ist sie demokratisch. Darauf berufen sich auch Putin und Erdogan, nach dieser Definition sogar nicht ganz zu unrecht. Etwas polemisch ausgedrückt: Demokratisch ist auch, wenn sich in einer Gemeinschaft von vier Füchsen und drei Hasen die Füchse bei der Auswahl des Abendessens durchsetzen.

Damit das nicht passiert, um autokratische Tendenzen wie in Erdogans Türkei und Putins Russland zu unterbinden, braucht eine Demokratie liberale Werte. Jetzt kann man trefflich über die genaue Definition von „liberal“ streiten und ich möchte mir nicht anmaßen vorgeben zu können, was das in welcher Situation heißt. Aber wir können uns doch sicher recht schnell auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, den Thomas Jefferson so großartig in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung formuliert hat: Liberal heißt, dass jeder Mensch gleichberechtigt geschaffen ist und mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet ist, zu denen das Leben, die Freiheit und das Streben nach Glück (ich würde moderner formulieren: die freie Gestaltung des eigenen Lebens) gehören.

Diese Menschenrechte stehen zur Demokratie in zweierlei Beziehung: Sie sind erstens Grundlage der Demokratie, denn nur durch sie kann sich die „freie Lebensgestaltung“ auch politisch manifestieren. Zum anderen setzen sie der Demokratie dann doch recht enge Grenzen: Auch demokratisch legitimierte Entscheidungen dürfen nicht (oder nur in Ausnahmefällen) die Freiheit des Einzelnen nachhaltig beschneiden. Die Hasen dürfen nicht das Abendessen sein, auch wenn die Füchse in der Mehrheit sind.

Genau dafür kämpfen Liberale, idealerweise auch die FDP. Und wir kämpfen eben zur Not auch gegen die demokratische Mehrheit. Die CDU/CSU mag eine Mehrheit für die Vorratsdatenspeicherung bekommen, die Grünen für einen sofortigen Umstieg auf ökologische Landwirtschaft, die SPD für den Mietendeckel und die Linke für eine Verstaatlichung von BMW. Diese Ideen mögen uns Liberalen abwegig erscheinen, aber es ist nicht schwer sich demokratische Mehrheiten hierfür vorzustellen. Aber: wir kämpfen nicht dagegen, weil sie (un-)demokratisch wären, noch nicht mal weil sie per se falsch wären. Wir kämpfen dagegen, weil sie einen staatlichen Eingriff in die individuelle Lebensgestaltung bedeuten. Wie ich lebe, wie ich esse, wie ich wohne und wie ich arbeite ist meine Sache und nicht die der Mehrheit! Darum ist „liberal“ unendlich viel wichtiger, als „demokratisch“! Weshalb es etwas eigenartig ist, dass nun ausgerechnet FDPler mit dem Argument „demokratisch“ eine Zusammenarbeit mit der AfD begründen wollen.

Liberal ist nicht unbedingt „die Mitte“ 

Bevor ich auf die besonderen Probleme eingehe, die Liberale mit der AfD haben müssen, noch ein wichtiger Gedanke vorweg: Die Liberalen sehen sich gerne als „die Mitte“. In vielerlei Hinsicht stimmt das auch. Wir sind zweifelsohne „Mitte“ im Sinne von gemäßigt. Wir revolutionieren nicht, wir reformieren. Wir sind der Aufklärung und wissenschaftlichen Erkenntnissen verpflichtet. Und ja, wir haben Gemeinsamkeiten mit „rechts“ und „links“: unsere Überzeugung, dass Fortschritt und Wohlstand, die Verbesserung der Lebensumstände vor allem durch möglichst freie Entfaltung der Menschen entstehen verbindet uns sowohl mit den gemäßigt Linken (in ihrer Betonung der Bürgerrechte) und den gemäßigt Rechten (in ihrer Betonung freier wirtschaftlicher Entfaltung). Aber wir stehen beiden Gruppen auch im jeweils anderen Punkt vehement entgegen. Mehr zu dem Gedanken hat Friedrich August von Hayek schon vor Jahrzehnten geschrieben. Insofern sind wir Liberale nicht einfach irgendwie „was dazwischen“ sondern haben ein ganz eigenes Verständnis und Wertgefüge. Das steht schon oben, das steht in meinem letzten Beitrag und ich fasse es hier nochmal zusammen. Liberal heißt: Im Zweifel für das Individuum. Alle anderen sind im Zweifel für ihre jeweilige Sache. Darum hadern wir auch so mit den Grünen: Nicht weil wir was gegen Klimaschutz hätten, aber weil wir nicht bereit sind, das Individuum einer auch noch so guten Sache zu opfern.

Warum es mit der AfD nicht geht – potenziert weniger, als mit den Linken

Damit sind wir Liberalen allen anderen politischen Meinungen etwas wesensfremd. Und streng genommen ist das eine binäre, eine ja/nein Entscheidung: Wir passen eigentlich zu keiner anderen Partei. Aber es gibt natürlich Abstufungen, im wesentlichen in der Frage, wie bereitwillig andere sind, das Individuum der Sache unterzuordnen. Das sind die gemäßigten Flügel von SPD und CDU sicher in so geringem Maße, dass ein Liberaler, der eh in der Minderheit ist, hiermit gut leben kann. Auf den Flügeln wird es links mit einem Kevin Kühnert und seinen Verstaatlichungsideen oder rechts mit einem Horst Seehofer und seinen Überwachungsphantasien schon schwieriger. Und ganz klar: Echter Sozialismus oder gar Kommunismus, ist ein NoGo. Mit Menschen, die glauben, zur Verbesserung der Menschheit eine StaSi oder ein Gulag zu brauchen, können Liberale nicht kooperieren. (Inwieweit das auf „Die Linke“ im allgemeinen und konkret auf Bodo Ramelow in Thüringen zutrifft, will ich hier nicht diskutieren. Ich glaube, zumindest auf Letzteren eher nicht). Aber es gibt nochmal einen kategorialen Unterschied, zwischen allen anderen, nicht-liberalen Parteien und der extremen Rechten: während alle anderen Parteien in Abstufungen bereit sind, das Individuum in immer kleiner werdenden Nöten zu opfern, ist das Wesen der extremen Rechten die Abschaffung des Individuums.

Ich muss gar nicht in die Extreme gehen, in denen festzustellen wäre, dass das Konzentrationslager Ziel des Faschismus ist, während das Gulag eine notwendige Begleiterscheinung des Kommunismus ist. Die AfD ist schon weit diesseits dieser Extreme unendlich weit weg vom Individuum. Das zeigt ihre Obsession mit der Nationalität eines Straftäters. Wenn es nicht mehr darum geht, ob Horst oder Ali ein Verbrechen begangen hat, sondern nur noch, welchen Rückschluss der Name auf die vermeintliche Herkunft zulässt, ist das Individuum in der „Nation“ – was auch immer das genau ist – untergegangen.

Wir können uns, auch innerhalb der FDP, sehr gerne streiten, wie wir mit einzelnen AfD Wählern umgehen. Unser Respekt vor dem Individuum gebietet es uns, die nicht alle über einen Kamm zu scheren. Und denjenigen, die vielleicht wirklich nur Protestwähler sind, auch ein aufklärerisches Gesprächsangebot zu machen, warum es falsch ist, die AfD zu wählen. Und vielleicht ist es auch unsere Aufgabe, das AfD-wählende Individuum nicht so herabzusetzen, wie es viele andere Parteien tun. Aber wir müssen klarmachen, dass die politischen Ziele der AfD das Gegenteil von Liberal sind. Und dass wir nicht mit der AfD als Partei Zusammenarbeiten können, dass wir uns nicht von denen, die uns verachten, wählen lassen. Nicht wählen lassen können! Auch wenn es noch so demokratisch ist.

 

PS: Ich habe schon ein paar ältere Artikel zu diesem Themenbereich geschrieben. Wer mag:

 

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