Archiv für den Monat: Februar 2020

„Demokratisch“ ohne „liberal“ ist wertlos.

Jetzt doch nochmal ein längerer inhaltlicher Post zu „Thüringen“. Eine für mich erschreckend große Zahl meiner Parteifreunde verbreitet auf Facebook immer noch die Meinung, die FDP hätte den Weg einer wie auch immer gearteten Minderheitsregierung unter Kemmerich gehen sollen. Die wesentliche Begründung lautet: Das sei eben eine demokratische Wahl. Das ist zwar richtig, aber unerheblich.

„Demokratisch“ ohne „liberal“ ist wertlos.

„Demokratisch“ gedacht mag es vorstellbar sein, sich von der AfD wählen zu lassen, „liberal“ ist es schlicht undenkbar!

Ich muss mal wieder ausholen und grundsätzlich werden:

„Demokratisch“ nennen sich fast alle Parteien, die in Deutschland antreten. Neben der FDP haben noch die beiden Volksparteien das „demokratisch“ im Namen, bei der Linken hatte es eine der beiden Gründungsparteien (PDS). Kein Mensch wird den Grünen ihre demokratische Gesinnung absprechen. Und selbst die AfD beansprucht für sich, demokratisch zu sein und – leider – hat sie grade in Thüringen aufgrund ihrer Wahlerfolge auch einen gewissen demokratisch legitimierten Machtanspruch.

Das Wort „demokratisch“ ist also recht beliebig: solange irgendeine Politik durch politische Mehrheiten legitimiert ist, ist sie demokratisch. Darauf berufen sich auch Putin und Erdogan, nach dieser Definition sogar nicht ganz zu unrecht. Etwas polemisch ausgedrückt: Demokratisch ist auch, wenn sich in einer Gemeinschaft von vier Füchsen und drei Hasen die Füchse bei der Auswahl des Abendessens durchsetzen.

Damit das nicht passiert, um autokratische Tendenzen wie in Erdogans Türkei und Putins Russland zu unterbinden, braucht eine Demokratie liberale Werte. Jetzt kann man trefflich über die genaue Definition von „liberal“ streiten und ich möchte mir nicht anmaßen vorgeben zu können, was das in welcher Situation heißt. Aber wir können uns doch sicher recht schnell auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, den Thomas Jefferson so großartig in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung formuliert hat: Liberal heißt, dass jeder Mensch gleichberechtigt geschaffen ist und mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet ist, zu denen das Leben, die Freiheit und das Streben nach Glück (ich würde moderner formulieren: die freie Gestaltung des eigenen Lebens) gehören.

Diese Menschenrechte stehen zur Demokratie in zweierlei Beziehung: Sie sind erstens Grundlage der Demokratie, denn nur durch sie kann sich die „freie Lebensgestaltung“ auch politisch manifestieren. Zum anderen setzen sie der Demokratie dann doch recht enge Grenzen: Auch demokratisch legitimierte Entscheidungen dürfen nicht (oder nur in Ausnahmefällen) die Freiheit des Einzelnen nachhaltig beschneiden. Die Hasen dürfen nicht das Abendessen sein, auch wenn die Füchse in der Mehrheit sind.

Genau dafür kämpfen Liberale, idealerweise auch die FDP. Und wir kämpfen eben zur Not auch gegen die demokratische Mehrheit. Die CDU/CSU mag eine Mehrheit für die Vorratsdatenspeicherung bekommen, die Grünen für einen sofortigen Umstieg auf ökologische Landwirtschaft, die SPD für den Mietendeckel und die Linke für eine Verstaatlichung von BMW. Diese Ideen mögen uns Liberalen abwegig erscheinen, aber es ist nicht schwer sich demokratische Mehrheiten hierfür vorzustellen. Aber: wir kämpfen nicht dagegen, weil sie (un-)demokratisch wären, noch nicht mal weil sie per se falsch wären. Wir kämpfen dagegen, weil sie einen staatlichen Eingriff in die individuelle Lebensgestaltung bedeuten. Wie ich lebe, wie ich esse, wie ich wohne und wie ich arbeite ist meine Sache und nicht die der Mehrheit! Darum ist „liberal“ unendlich viel wichtiger, als „demokratisch“! Weshalb es etwas eigenartig ist, dass nun ausgerechnet FDPler mit dem Argument „demokratisch“ eine Zusammenarbeit mit der AfD begründen wollen.

Liberal ist nicht unbedingt „die Mitte“ 

Bevor ich auf die besonderen Probleme eingehe, die Liberale mit der AfD haben müssen, noch ein wichtiger Gedanke vorweg: Die Liberalen sehen sich gerne als „die Mitte“. In vielerlei Hinsicht stimmt das auch. Wir sind zweifelsohne „Mitte“ im Sinne von gemäßigt. Wir revolutionieren nicht, wir reformieren. Wir sind der Aufklärung und wissenschaftlichen Erkenntnissen verpflichtet. Und ja, wir haben Gemeinsamkeiten mit „rechts“ und „links“: unsere Überzeugung, dass Fortschritt und Wohlstand, die Verbesserung der Lebensumstände vor allem durch möglichst freie Entfaltung der Menschen entstehen verbindet uns sowohl mit den gemäßigt Linken (in ihrer Betonung der Bürgerrechte) und den gemäßigt Rechten (in ihrer Betonung freier wirtschaftlicher Entfaltung). Aber wir stehen beiden Gruppen auch im jeweils anderen Punkt vehement entgegen. Mehr zu dem Gedanken hat Friedrich August von Hayek schon vor Jahrzehnten geschrieben. Insofern sind wir Liberale nicht einfach irgendwie „was dazwischen“ sondern haben ein ganz eigenes Verständnis und Wertgefüge. Das steht schon oben, das steht in meinem letzten Beitrag und ich fasse es hier nochmal zusammen. Liberal heißt: Im Zweifel für das Individuum. Alle anderen sind im Zweifel für ihre jeweilige Sache. Darum hadern wir auch so mit den Grünen: Nicht weil wir was gegen Klimaschutz hätten, aber weil wir nicht bereit sind, das Individuum einer auch noch so guten Sache zu opfern.

Warum es mit der AfD nicht geht – potenziert weniger, als mit den Linken

Damit sind wir Liberalen allen anderen politischen Meinungen etwas wesensfremd. Und streng genommen ist das eine binäre, eine ja/nein Entscheidung: Wir passen eigentlich zu keiner anderen Partei. Aber es gibt natürlich Abstufungen, im wesentlichen in der Frage, wie bereitwillig andere sind, das Individuum der Sache unterzuordnen. Das sind die gemäßigten Flügel von SPD und CDU sicher in so geringem Maße, dass ein Liberaler, der eh in der Minderheit ist, hiermit gut leben kann. Auf den Flügeln wird es links mit einem Kevin Kühnert und seinen Verstaatlichungsideen oder rechts mit einem Horst Seehofer und seinen Überwachungsphantasien schon schwieriger. Und ganz klar: Echter Sozialismus oder gar Kommunismus, ist ein NoGo. Mit Menschen, die glauben, zur Verbesserung der Menschheit eine StaSi oder ein Gulag zu brauchen, können Liberale nicht kooperieren. (Inwieweit das auf „Die Linke“ im allgemeinen und konkret auf Bodo Ramelow in Thüringen zutrifft, will ich hier nicht diskutieren. Ich glaube, zumindest auf Letzteren eher nicht). Aber es gibt nochmal einen kategorialen Unterschied, zwischen allen anderen, nicht-liberalen Parteien und der extremen Rechten: während alle anderen Parteien in Abstufungen bereit sind, das Individuum in immer kleiner werdenden Nöten zu opfern, ist das Wesen der extremen Rechten die Abschaffung des Individuums.

Ich muss gar nicht in die Extreme gehen, in denen festzustellen wäre, dass das Konzentrationslager Ziel des Faschismus ist, während das Gulag eine notwendige Begleiterscheinung des Kommunismus ist. Die AfD ist schon weit diesseits dieser Extreme unendlich weit weg vom Individuum. Das zeigt ihre Obsession mit der Nationalität eines Straftäters. Wenn es nicht mehr darum geht, ob Horst oder Ali ein Verbrechen begangen hat, sondern nur noch, welchen Rückschluss der Name auf die vermeintliche Herkunft zulässt, ist das Individuum in der „Nation“ – was auch immer das genau ist – untergegangen.

Wir können uns, auch innerhalb der FDP, sehr gerne streiten, wie wir mit einzelnen AfD Wählern umgehen. Unser Respekt vor dem Individuum gebietet es uns, die nicht alle über einen Kamm zu scheren. Und denjenigen, die vielleicht wirklich nur Protestwähler sind, auch ein aufklärerisches Gesprächsangebot zu machen, warum es falsch ist, die AfD zu wählen. Und vielleicht ist es auch unsere Aufgabe, das AfD-wählende Individuum nicht so herabzusetzen, wie es viele andere Parteien tun. Aber wir müssen klarmachen, dass die politischen Ziele der AfD das Gegenteil von Liberal sind. Und dass wir nicht mit der AfD als Partei Zusammenarbeiten können, dass wir uns nicht von denen, die uns verachten, wählen lassen. Nicht wählen lassen können! Auch wenn es noch so demokratisch ist.

 

PS: Ich habe schon ein paar ältere Artikel zu diesem Themenbereich geschrieben. Wer mag:

 

Warum ich trotz „Thüringen“ in der FDP bleibe. Und nur empfehlen kann, sie zu wählen.

Ich habe eine Nacht drüber geschlafen. Ich trete nicht aus der FDP aus. Ich bin sogar mit ein bisschen mehr Überzeugung dabei. Hier sind die Gründe:

Erstens: „Thüringen“ war ein gravierender Fehler. Aber für mich hat die Reaktion der FDP auf allen Ebenen in den letzten Tagen gezeigt, dass er – ich hab’s gestern schon geschrieben – politischer Dummheit und nicht inhaltlichen oder machtpolitischen Überlegungen geschuldet war. Das macht die Sache zwar nicht gut und zeigt erheblichen Handlungsbedarf. Aber es ist eben auch keine Schande, kein Dammbruch, kein Tabubruch. Gelitten hat vor allem die FDP. Viel, viel mehr als die Demokratie.

Zweitens: Die FDP ist mit diesem Fehler so schonungslos umgegangen, wie Organisationen seltenst mit Fehlern umgehen, mir fällt spontan nichts vergleichbares ein. Zugegeben, auch der Fehler ist ziemlich einmalig. Aber die FDP hat gestern auch viele ihrer Mitglieder vor den Kopf gestoßen, die sich ernsthaft einen FDP Ministerpräsidenten gewünscht hatten und für die ein Ministerpräsident der Linken auch ein erheblicher Schmerz ist. Dass dieser Schmerz mit der Zusammenarbeit mit der Höcke-AfD nicht vergleichbar ist, weiß ich. Aber für viele in der FDP ist er das. Das gefällt mir nicht, ist aber ein politischer Fakt. Genauso wie der, dass eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD nicht geht. Ich kenne keine andere Partei, die mit ihren eigenen problematischen Flügeln, und die gibt es in jeder Partei, auch nur im Ansatz so umgegangen wäre, wie es die FDP gestern mit ihrem nationalliberalen Flügel getan hat.

Drittens: Die FDP ist tatsächlich die Anti-AfD. Der Satz ist oft gefallen, aber selten erklärt worden. Das will ich tun. „Identity Politics“, also Politik die recht kompromisslos die Interessen einer vermeintlich oder konstruiert homogenen Gruppe vertritt, ist eines der Übel unserer Zeit. Wir sehen das bei der AfD (hier taucht auch das Wort „identitär“ auf) und recht offensichtlich bei allen Rechtspopulisten in Europa und anderswo. Aber auch jede andere Partei neigt dazu, „identitäre“ Politik zu machen, indem sie sich an vermeintliche homogene Gruppen wendet und diese immer wieder auch gegen „die anderen“ ausspielt. Was bei den Rechten „die Nation“ ist,

  • ist bei den Linken „die Klasse“, „das Kollektiv“, oder – moderner – „the 99%“,
  • ist bei den Grünen „die Klimabewegung“ (es war mal „die Friedensbewegung“)
  • ist bei den Konservativen „das Land“, „die Leitkultur“, oder was ihnen auch immer einfällt, ich verstehe konservative Politik einfach nicht.

Das ist alles sicherlich viel wohlmeinender, sicher auch sympathischer und vor allem auch berechtigter als die „Nation“ der Rechtsaußen. Aber es ist auch immer Politik, die das Individuum in seiner Einzigartigkeit einer wie auch immer gearteten Gruppe unterordnen will. Und damit die urliberale Idee eines mit unveräußerlichen Rechten ausgestatteten Menschen als Basis der politischen Willensbildung angreift. Auch der FDP gelingt das nicht immer und meine persönliche Frustration mit der Partei kommt neben der gestern schon beschriebenen politischen Dummheit insbesondere auch daher, dass erschreckend wenige Menschen in der FDP das wirklich verstehen. (Das alles erinnert mich daran, dass ich seit Monaten mal sauber aufschreiben will, was ich damit genau meine, sozusagen mein persönliches liberales Manifest. Ich werde es tun).
Aber es bleibt dabei: Die FDP ist die einzige Partei, die dafür einsteht, dass der Mensch immer wichtiger als die Gruppe ist. Und vor allem darum ist sie meine politische Heimat!

Viertens möchte ich neben diesem recht abstrakten Punkt drei zwei konkrete Beispiele und Personen nennen:

  • Wohnungspolitik: Es ist offensichtlich, dass hier erheblicher Handlungsbedarf besteht. Es ist eine der großen Ungerechtigkeiten, vielleicht die größte, unserer Zeit, dass der Erwerb der eigenen Wohnung für die allermeisten Menschen ein zunehmend unerfüllbarer Traum ist. Auch adäquate Mietwohnungen sind für immer mehr Menschen immer schwerer zu bekommen. Hier leistet Daniel Föst im Bundestag unermüdliche Arbeit, das Problem wirklich in den Griff zu kriegen echte Lösungen zu finden und dabei nicht in populistischen Regulierungsträumen zu versinken!
  • Klimapolitik: Kein FDP-Kernthema aber die globale Herausforderung unserer Zeit. Auch hier kämpft mit Lukas Köhler ein FDPler um echte Lösungen, die die nicht ganz unwichtige Nebenbedingung erfüllen, den Wohlstand unserer Welt nicht in Gefahr zu bringen.
  • Steuerpolitik: Das muss auch noch sein, auch wenn es eher Gähner hervorruft. Aber wenn der Staat Rekordüberschüsse erzielt und ein Facharbeiter den Spitzensteuersatz zahlt, gibt es ganz sicher Handlungsbedarf. Christian Lindner tut gut daran, hier immer wieder den Finger in die Wunde zu legen. Auch wenn er dabei etwas rumpelstielzchenhaft wirkt.

Und so sehr es mich schmerzt, dass die FDP durch „Thüringen“ echten Schaden genommen hat: es gab gestern auch eine endgültige Distanzierung von nationalliberalen Ideen und Machtansprüchen. Der liberalen Idee, deretwegen ich in der FDP bin, kann’s nur gut tun.

Die fehlende politische Klugheit der FDP

Mich lässt die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen nicht los. Ich bin enttäuscht, irritiert und verärgert. Über vieles, nicht nur über die FDP.
Die etwas reflexhafte rhetorische Keule, die jetzt ausgepackt wird, („Schande“) und das nicht nur für die FDP als Institution sondern auch für jedes einzelne Mitglied, ist sicherlich auch kein Musterbeispiel für zivilisierten politischen Diskurs. Wer das Wort „Schande“ leichtfertig in den Mund nimmt, sollte mit Nazivergleichen vorsichtig sein – und die sind aktuell ja schwer in Mode. Und die Heftigkeit der Kritik weckt in mir eine Abwehrhaltung, einen Wunsch die FDP zu verteidigen – blöderweise in einer Situation, in der es nichts zu verteidigen gibt.
Ich weiß nicht, ob das, was in Thüringen passiert ist, wirklich ein Dammbruch oder ein Tabubruch war. Für mich war es vor allem eins: Ausdruck der politischen Dummheit der FDP. Und damit leider kein Einzelfall.

Ich muss etwas ausholen und drei kleine Geschichten erzählen:

Vor 13 Jahren stand ich bei einer recht kleinen Feier mal mit Guido Westerwelle beim Bierchen. Ich fragte ihn, woran es denn läge, dass die FDP immer nur mit wirtschaftspolitischen Themen in der Presse stünde und die Bürgerrechtsthemen untergingen. Ob das daran läge, dass die FDP letztere nicht mehr besetze oder ob diese einfach nur nicht medial transportiert würden. Westerwelle hielt dann eine kurze Parteitagsrede über die FDP als Bürgerrechtspartei. Für mich war klar: Er hatte nicht verstanden, dass es einen Unterschied zwischen dem Selbstbild einer Partei und ihrer Darstellung in den Medien gibt. Ich war entsetzt: Dem Bundesvorsitzenden der FDP war nicht klar, dass einen fundamentalen Unterschied zwischen seinen Inhalten (vereinfacht: Bürgerrechte!) und deren Wahrnehmung in Medien und Öffentlichkeit (vereinfacht: Steuern runter!) gibt. Ihm war noch nicht mal die Möglichkeit bewusst.

Zweite Geschichte: Dennoch gelingt es Guido Westerwelle 2009 das beste Wahlergebnis der FDP in ihrer Geschichte einzufahren. Und was passiert? In der völlig naiven Fiktion eines bürgerlichen Lagers startet die FDP in die Koalitionsverhandlungen und ist überrascht, dass sie nicht einfach alles bekommt, von dem sie denkt das es ihr zustünde. Am Ende der Koalitionsverhandlungen hatte – ich vereinfache stark – Seehofer (mit dem schlechtesten CSU-Ergebnis aller Zeiten), das Betreuungsgeld durchgedrückt und Westerwelle war stolz, „den Horst“ jetzt zu duzen. Die Quittung kam in der Wahl 2013.

Dritte Geschichte: 2017 hatte die FDP es geschafft, nicht nur wieder in den Bundestag einzuziehen sondern mit Jamaika in einem spannenden, wenn auch schwierigen Bündnis Verantwortung zu übernehmen. Offensichtlich war die Erwartung die gleich wie 2013, nämlich dass die Verhandlungspartner der FDP einfach geben würden, was sie will. Währenddessen holen die Grünen mit Jürgen Trittin einen erfahrenen Verhandler aus der Mottenkiste, der in den Jahren davor und danach genau gar keine Rolle spielt, aber eben Koalitionsverträge verhandeln konnte. Die FDP hatte dem nichts entgegenzusetzen und brach mit einem beleidigten Mimimi die Koalitionsverhandlungen ab. Professionalität? Fehlanzeige! Dass sich die Führung dann in den völlig unsinnigen Satz „Lieber nicht regieren, als schlecht regieren“ versteift hat, mag Balsam auf die Seele der FDP Basis gewesen sein, die den Grünen bis heute nicht verzeiht, in den traditionell liberalen jungen Großstadteliten zu wildern. Fast jeder, den ich 2017 überzeugt hatte, erstmals FDP zu wählen war danach enttäuscht.

Diese Geschichten zeigen – jede für sich und als Gesamtbild – wie schwer sich die FDP damit tut, den Unterschied zwischen eigenen Inhalten und Zielen und der Außenwirkung zu erkennen und damit gut umzugehen. Ihr fehlt die Erkenntnis, dass es in der Politik nun eben erst mal zweitrangig um Inhalte geht, sondern um Macht und politisches Geschick, nicht nur die richtigen Dinge zu tun sondern für diese auch Unterstützung zu gewinnen. Und es fehlt ihr an dem Geschick, die Gratwanderung zwischen Macht und Integrität so zu schaffen, dass sie einerseits so viel Macht findet um was zu bewegen, andererseits sich dabei aber nicht völlig verliert.

Nach allem, was ich bisher über „Thüringen“ gelesen habe, ist genau das mal wieder gründlich schiefgelaufen. Aus inhaltlichen Überlegungen mag es richtig gewesen sein, das Feld eben nicht der AfD und der Linken zu überlassen. Die – jetzt nachgeschobene – Argumentation von Kemmerichs Apologeten, dass es ein politisches Angebot aus der Mitte geben muss, spricht auch mir aus der Seele und müsste das eigentlich auch jedem Demokraten tun.

Diese Argumentation übersieht aber, dass ein mit Unterstützung der AfD oder anderer Rechtsaußenparteien gewählter Ministerpräsident in Deutschland zurecht ein politisches Tabu ist. Sie übersieht, dass es völlig unerheblich um nicht zu sagen wurscht ist, ob diese Unterstützung gewollt ist. Sie übersieht, dass diesem Ministerpräsidenten zumindest subjektive Legitimität fehlt. Und ja, sie übersieht, dass die Wahl in Thüringen in der Wählerwahrnehmung eben nicht nur Thüringen ist, sondern dass die FDP, die nicht mit Grünen und CDU regieren wollte, jetzt mit „Rechten“ gemeinsame Sache macht. Und dabei ist völlig unerheblich, ob sie das tatsächlich oder eben nur „gefühlt“ tut.

Vor allem aber ist erschreckend, dass Herrn Kemmerich diese Konsequenz offensichtlich nicht klar war. Und sie ist es offensichtlich auch vielen meiner Parteifreunde nicht (fairerweise: es gibt durchaus auch prominente FDP-ler, die ganz klar einen Rücktritt Kemmerichs fordern). All das zeigt wieder das Kernproblem der FDP: Ihr fehlt die Fähigkeit, die politisch richtige Balance zwischen Macht und Inhalten zu finden. Sie ist, in zwei Worten, politisch unreif.
Was mache ich als überzeugter Liberaler und Parteimitglied damit? Ich weiß es um ehrlich zu sein nicht. Natürlich liegt der Parteiaustritt nahe. Aber bei aller Unerfahrenheit bleibt die FDP die einzige Partei in Deutschland, die wenigstens hin und wieder versucht, den einen oder anderen liberalen Impuls zu setzen. Ich werde noch ein paar Nächse drüber schlafen. Aber es hängt sehr viel davon ab, was Thomas Kemmerich jetzt tut. Er hat es in der Hand, sich ganz klar abzugrenzen, sei es durch Neuwahlen, sei es durch eine Politik, die es der AfD unmöglich macht, ihn weiterhin zu unterstützen. Wobei, jetzt bin ich der Versuchung der politischen Naivität aufgesessen: Ohne Hausmacht kann ein Ministerpräsident in einer parlamentarischen Demokratie nicht regieren. Es bleibt also nur eine Möglichkeit: Der Rücktritt.