Weihnachten. Das Fest Jesu Geburt und der Liebe. Und – zumindest laut einigen Medienberichten – Stein des Anstoßes. Denn wie sollen wir andere Religionen – allen voran den Islam – integrieren, wenn wir alle ein so tief christliches Fest feiern? Wie sollen die da mitfeiern? Da lassen wir es doch lieber bleiben – zumindest soll das in einigen Schulen und Kindergärten so passiert sein.
Über Weihnachten war ich krank und – man hat dann ja nichts zu tun – las „Die Weihnachtsgeschichte“ von Charles Dickens. Es passt ja auch so wunderbar: Die Geschichte vom mürrischen,geizigen und gierigen Ebenzer Scrooge, der seinem Angestellten nur widerwillig einen freien Tag zu Weihnachten gönnt und Spendenaufrufe ebenso wie die Weihnachtseinladung seines Neffen barsch als Humbug ausschlägt. Der dann von mehreren Geistern besucht wird, die ihm erstens die Erinnerung an eigene, frühere Weihnachtsfeste wachrufen, ihm zweitens die Feiern bei seinem Angestellten Bob Cratchit und seinem Neffen – und überhaupt Weihnachtsfeiern im viktorianischen England – zeigen und ihn drittens zu einer freund- und trostlosen Beerdigung in der Zukunft führt, die sich als Scrooges eigene entpuppt. Scrooge, von diesen Erfahrungen geläutert, wird dann ein besserer und vor allem großzügigerer Mensch.
Danach habe ich – zugebenen etwas nerdig – bei Wikipedia den Artikel über das Buch gelesen. Dem ist zu entnehmen, dass Dickens‘ Geschichte die Art und Weise wie zumindest die Briten Weihnachten feiern gleich mehrfach geprägt hat: Die zu Weihnachten viel größere Spendenbereitschaft für soziale Zwecke kommt erst mit dem Buch auf. Aber auch fast alle geschilderten Weihnachtsbräuche, die Familienfeiern, das spätere Treffen mit Nachbarn und Freunden, kurz, alles was die Engländer „merriment“ nennen, wurde durch das Buch wenn nicht erfunden so doch geprägt und verstetigt. Selbst der Satz „Merry Christmas“ ist angeblich erst durch Dickens in den Sprachgebrauch eingeflossen.
Was ich daran spannend finde: Ganz wesentliche Elemente unseres Weihnachten-Feierns haben nichts mit der Kirche oder Jesu Geburt oder eben der Weihnachtsgeschichte zu tun. Je tiefer ich suche, desto weniger geht’s um Jesu Geburt. Das fängt schon beim Datum an: Feierten wir tatsächlich Jesu Geburt, müssten wir das am 1. Januar tun, schließlich orientiert sich auch unsere Zeitrechnung an dem Ereignis. Jedenfalls tun wir so. Der 24. Dezember als „Heilige Nacht“ hat viel mehr mit dem heidnischen Sonnenwendfest zu tun als mit irgendwas Kirchlichem. Die ersten Missionare im frühen Mittelalter waren einfach schlau genug, sich den keltischen Traditionen anzupassen und denen das Weihnachtsfest überzustülpen. Das verringerte den Widerstand und vereinfachte die Bekehrung. Das Datum ist also heidnisch. Und so geht’s weiter: Der Weihnachtsbaum stammt aus dem Kaiserreich (ich vermute, das Christkind auch). Der Weihnachtsmann, der immer unaufhaltsamer das Christkind verdrängt, ist eine illustre Mischung aus nordischer Mythologie, einem vorderasiatischen Heiligen namens Nikolaus und einer Coca-Cola-Werbekampagne aus den 1920er Jahren. Viele Weihnachtslieder beziehen sich nur noch auf den Winter (der Weihnachten bestenfalls erst anfängt: Meist rieselt der Schnee erst im Januar; „Schneeflöckchen, Weißröckchen“ nimmt die eigentlich unpassende Zeit mit der ungeduldigen Frage „wann kommst Du geschneit“ gleich vorweg). Ein aus Südtirol stammender Kollege erzählte die wunderbare Geschichte von den 12 Rauhnächten zwischen Weihnachten und dem 6. Januar, an denen die Familie im Gänsemarsch weihrauchschwingend durch jedes Zimmer des Hauses zieht, um böse Geister zu vertreiben. Und eben Dickens. Gehen wir mal davon aus, dass vieles von dem, was oben über England steht, auch erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Kontinent geschwappt ist. Der Weihnachtsbaum hat ja zeitgleich auch von Deutschland aus die Welt erobert.
Warum zum Kuckuck nun also irgendwer der Meinung ist, Weihnachten nicht feiern zu wollen, weil das ein Integrationshindernis sein könnte, ist schwer nachzuvollziehen. Ebenso, wie die Meinung von nicht-Christen, sie würden dadurch ausgeschlossen. Weihnachten ist vor allem ein Fest der Verbindung; wenn wir so wollen: Der Integration. Eben weil es so viele Bräuche aus verschiedenen Kreisen vereint, weil es jeder Familie gleich welchen oder überhaupt irgendeinen Glaubens die Möglichkeit gibt, es auf ihre eigene Weise zu feiern. Es ist auf jeden Fall viel mehr als das Fest Jesu Geburt.
Jeder Muslim ist genauso wie alle anderen herzlichst eingeladen, an diesem wunderbaren Amalgam mitzubauen. Wer weiß, welche Bräuche sich in 150 Jahren etabliert haben und für unsere Nachfahren so selbstverständlich dazugehören. Vielleicht die Zeder statt der Nordmanntanne oder Baklava statt Pfeffernüssen. Nur es gibt nun wirklich keinen Grund, es bleiben zu lassen.