Kritik in der Krise. Besonders notwendig.

Ein Freund von mir hat mir diesen Artikel aus der Zeit geschickt, in dem sich der Autor über Christian Lindners überzogene Reaktion auf die Corona-Krise mokiert. Nun ist es nichts neues, dass sich Christian Lindner mit seinem etwas rumpelstielzchenhaften Gehabe selbst im Weg steht. Es wäre nicht das erste Mal, dass er einen validen Punkt hat, aber die Art und Weise, wie er ihn vorträgt eher abstoßend ist. Ich will aber die Gelegenheit nutzen, einen Post zu schreiben, der mir seit längerem auf der Seele liegt, und der hier dann doch ganz gut passt.

Ich mache mir in der Corona-Krise ernsthaft Sorgen. Tatsächlich weniger wegen des Virus, sondern mehr wegen der Veränderung unserer politischen Kultur, unserer Debattenkultur, die damit einhergeht. Mir ist schon klar, dass „Corona“ eine außergewöhnliche Situation ist, die außergewöhnlicher Maßnahmen bedarf. Ich will auch gar nicht die aktuellen Maßnahmen kritisieren. Aber ich bin schon entsetzt, mit wie wenig Widerstand sie von der Öffentlichkeit hingenommen werden. In den ersten Tagen haben nicht nur Vertreter der Regierungsparteien, sondern auch die Opposition (inklusive der FDP) und die oftmals auch sehr kritische Presse viel zu sehr und unisono eine unbedingte Zustimmung geäußert. Eine breite Diskussion über die nie dagewesenen Einschränkung persönlicher Freiheiten: Fehlanzeige. Über die extreme Ausweitung der Exekutivgewalt: Fehlanzeige. Es war zuerst Mathias Döpfner, der in Welt das ganze Thema mal von beiden Seiten beleuchtet hat (leider Paywall). Er kommt zu dem – meiner Meinung nach richtigen – Schluss, dass die Maßnahmen richtig sind, aber eben doch kritisch zu beobachten.

Ein paar Geschichten zur Realität in Deutschland Anfang April 2020.

Es gibt unzählige Berichte, Sendungen, Erläuterungen dazu, was noch erlaubt ist. Der Grundgedanke einer offenen Gesellschaft, dass alles erlaubt ist, was nicht explizit verboten ist, ist außer Kraft gesetzt. Weil Herr Söder das so wollte.

Der Pressesprecher der Münchner Polizei, der seit dem Amoklauf vor ein paar Jahren zu meinen persönlichen Helden gehört, erklärt im Radio ebenfalls, wie sich Menschen in Parks begegnen dürfen. Nochmal: Die Polizei erklärt, wie menschliche Begegnung zu funktionieren hat.

An den Straßen hängen Banner, die Verhaltensregeln postulieren. „Bleibt’s Dahoam“ mag charmant bairisch klingen, aber es erinnert mich eher an Nordkorea, als an die „Weltstadt mit Herz“.

Ich führe Gespräche mit engen Bekannten, dass ich doch mein Auto, wenn ich kurz bei Ihnen vorbeifahre, bitte um die Ecke parken möge, weil sie ernsthaft Angst haben, dass ein Nachbar die Polizei rufen könnte. Ich denke „Inoffizieller Mitarbeiter“ und „Blockwart“. Realität in Deutschland.

In der morgendlichen Satire bei Bayern 1, in der bisher immer die Herren Söder, Aiwanger und Stoiber auf die Schippe genommen wurden, kriegt nur noch der nicht mehr aktive Herr Stoiber sein Fett weg. Ich kann den Grund nur vermuten: Weil es als irgendwie unpassend gilt, die aktiven (vermeintlichen) Helden der Corona-Krise auf’s Korn zu nehmen.

Vor allem aber gehen sowohl unser Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz als auch der bayerische Ministerpräsident Söder hin, und verbieten sich eine Diskussion über eine Exitstrategie, weil es zynisch wäre, solange noch Menschenleben gefährdet seien. Und irgendwie spielt das in den Kommentarspalten der Presse keine Rolle. Die gleichen Journalisten, die an Weihnachten noch „Zensur“ gebrüllt haben, weil Tom Buhrow das saudumme „Oma-Umweltsau“-Video von der Webseite des WDR hat nehmen lassen, lassen den Versuch eines Debattenverbots einfach über sich ergehen.

Klar, die Debatte findet – Gott sei Dank – trotzdem statt. (Wobei hier gesagt sei, dass sie das erst in der vierten Woche des Lockdowns passiert). Aber hier gibt es etwas, über das sich eigentlich jeder Journalist empören müsste. Dazu: Schweigen im Walde. Das liegt vermutlich auch daran, dass viele Journalisten wie auch die breite Öffentlichkeit dem „Menschenleben um jeden Preis retten“ Argument auf den Leim gegangen sind.  Das wiederum scheint mir Ausdruck einer schon seit längerem darbenden Debattenkultur zu sein, in der es nur noch „dafür“ oder „dagegen“, aber kein Abwägen mehr gibt. Natürlich ist es sauschwierig zu argumentieren, wenn auf der Gegenseite Menschenleben ins Feld geführt werden. Aber wir treffen jeden Tag Abwägungen, auch bei Menschenleben. Bestes Beispiel: Verkehr. Es gibt jedes Jahr 3.000 Verkehrstote in Deutschland, sprich jeder Mensch, der ein Auto bewegt, trägt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zum Tod von Menschen bei. Wir fahren trotzdem alle Auto, weil der Vorteil der gewonnen Mobilität offensichtlich auch die Menschenleben wert ist. Es gäbe hunderte weitere Beispiele.

Insofern ist es natürlich besorgniserregend – sehr sogar – wenn zwei prominente Politiker ein so totalitäres (weil jede Abwägung unterbindendes) und letztlich nicht haltbares Argument ins Felde führen, um eine Debatte zu unterbinden. Eine Debatte, die dringend und auf breitestmöglicher Basis nötig ist. Denn die Folgen des Shutdowns werden auch tödlich sein. Wenn hier zu Millionen die Menschen in Kurzarbeit müssen, in den USA Arbeitslosenhilfe beantragen, dann ist es nicht allzuschwer, sich die Näherin in Bangladesh vorzustellen, die ihren Job verliert und ihr Kind nicht mehr ernähren kann. Was der Shutdown mit den Flüchtlingen auf Lesbos macht, will ich mir gar nicht ausmalen. Aber derjenige, der sich solche Gedanken macht, ist in den Augen der Herren Söder und Scholz (und ja, mir kommt hier die arg polemische Idee, die beiden mit „SS“ abzukürzen) zynisch. Mit Verlaub: Das sind sie selbst.

Und darüber muss man diskutieren. Und es ist auch Aufgabe der FDP als Opposition das zu tun und den Finger in die sich auftuende, zumindest in Ansätzen totalitäre Wunde, zu legen. Selbst wenn er sich dabei im Ton vergreift oder übers Ziel hinausschießt.

 

Nebenbemerkung: Bei meiner Kritik an der Debattenkultur muss ich auch nochmal auf die Hörigkeit vieler Deutscher auf die Virologen zu sprechen kommen. Die Virologen haben nicht das Sagen – Gott sei Dank. Natürlich sind sie die Experten in der Pandemie und ihr Wissen muss ein ganz gewaltiges Gewicht haben. Aber es darf eben nicht alleinentscheidend sein. Denn sie sind Experten für die Gesundheit, aber eben nicht für die wirtschaftlichen, soziologischen, außenpolitischen oder psychologischen Folgen der Krise. In Umgang mit den Krisen sind alle diese unter einen Hut zu bringen. Wir kämen nicht auf die Idee, in der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise nur auf die Wirtschaftswissenschaftler zu hören. Wir sollten auch nicht nur auf die Virologen hören. Nicht, weil sie Unrecht hätten, sondern weil sie das Problem eben nur aus einer Sichtweise betrachten. Wie alle anderen Experten auch. Es ist und bleibt wesentliche Aufgabe von Politik, den Ausgleich zu schaffen. Ein Gedanke, den ich auch auf Greta Thunbergs „Follow the Science“ Argument anwenden würde.

 

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