Pegida, TTIP und die Angst

Ich weiß, dass es zwischen der Angst der TTIP-Gegner und der Pegida-Demonstranten einen wesentlichen Unterschied gibt. Letztere ist viel offensichtlicher und bewusster menschenverachtend und bösartig. Das will ich nicht bestreiten und schon gar nicht legitimieren.

Und trotzdem gibt es eine entscheidende Gemeinsamkeit: Angst. Angst, die  die Vernunft ausschaltet. Angst, die Menschen emotionalisiert. Angst, die sie auf die Straße gehen lässt. Bezeichnenderweise in beiden Fällen Angst vor recht diffusen Dingen: Weder die „Islamisierung“ noch TTIP sind wirklich greifbar. Die angebliche Islamisierung ist es vor allem in Dresden nicht, und TTIP noch viel weniger, da kein Mensch weiß, was drinstehen wird – es wird ja noch verhandelt. Die Liste könnte man noch beliebig erweitern: Fracking, Finanzkapital (ich dachte, das sei als Gespenst ausgestorben, aber Jakob Augstein belehrt mich wöchentlich eines besseren), Überfremdung, Lobbies, Sozialabbau usw.. Alles Dinge, die es, wenn’s um technisches geht, noch nicht oder nur testweise gibt, oder die andernfalls irgendwie herbeigeschrieben irgendwo auftauchen. Gerne in Nebensätzen, wo sie nicht verargumentiert werden müssen, sondern sie einfach postulieren werden können. Das wiederholt sich dann solange, bis sie irgendwie gefühlt real sind. Und dann haben auf einmal alle Angst davor und sind dagegen. Weil das einfach falsch ist. Und weil die Politiker uns – wer auch immer das ist – dazu belogen haben. Warum das konkret falsch ist, und wo konkret uns die Politik belogen hat: Fehlanzeige. Vor allem dabei, was vielleicht auch dafür sprechen würde.

Problematisch ist an allen diesen Ängsten, dass sie einen wahren Kern haben. Schon per se: Sie sind für jeden einzelnen, der sie fühlt, subjektiv real. Das zwingt dazu, auf die Menschen und, nunja, ihre Ängste einzugehen und mit ihnen darüber zu reden. Das ist erstens nicht einfach und zweitens unangenehm: Man müsste ja mit Andersdenkenden, noch dazu sehr überzeugten, debattieren und sich mit ihnen und ihren mal berechtigten, mal völlig abwegigen Argumenten auseinandersetzen. Man müsste noch was tun, worin die deutsche Politik, vor allem Frau Merkel, notorisch schlecht ist: Führen. Gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen nicht hinterherrennen, sondern sie erkennen, debattieren, steuern und auch und vor allem: Sie offen kommunizieren. Dazu gehört auch das Anerkennen der eigenen Machtlosigkeit: Ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht, ist keine politische Entscheidung. Es ist eine Folge des Verhaltens von Millionen Deutschen, die weniger Kinder bekommen (also dessen, was gemeinhin „demographischer Wandel“ genannt wird, als ob da niemand was dafür könnte) und der positiven wirtschaftlichen Entwicklung hier und weniger guten anderswo. Damit ist einer der Hauptgründe für den aktuellen, übrigens immer noch geringen, Erfolg von Pegida, dass die Politik jahrelang eine Scheindebatte darüber geführt hat, ob Deutschland nun ein Einwanderungsland sein will oder nicht. Es war von Anfang an klar: Deutschland muss eins sein. Es geht gar nicht anders. Es ist etwas verlogen, sich jetzt als Politiker darüber zu wundern, dass einem die Menschen nicht mehr vertrauen, wenn man ihnen vorgegaukelt hat, gegen so schlichte Erkenntnisse ankämpfen zu können. Ich bin übrigens bewusst vorsichtig, hier nun namentlich CSU und den rechten Flügel der CDU zu nennen. Am anderen Ende des politischen Spektrums passiert mit anderen Themen das Gleiche: Hier wird ewig auf „die Konzerne“ und den Freihandel geschimpft und eine im Detail recht diffuse „soziale Gesellschaft“ beschworen, „soziale Wärme“, was immer das sein mag, wird zum Ziel von Politik. Und dann soll es jetzt auf einmal mit TTIP Chlorhühnchen und Schiedsgerichte geben? Da soll hinter verschlossenen Türen verhandelt werden? Wer den Menschen nicht erklärt, dass der Ast der sozialen Gerechtigkeit einen wirtschaftlich gesunden Baum braucht, der sägt den Ast zwar nicht ab, aber lässt ihn morsch werden. So ist es kein Wunder, dass viele Menschen in Herrn Gabriels Kehrtwende in Sachen TTIP irgendwelche Lobbies und nicht etwa die schlichte Vernunft am Werk sehen. So ist die Angst, die den Fortschritt, den Wohlstand und vor allem das tolerante Zusammenleben behindert, die Frucht schlechter politischer Führung.

Da, und nur da, hat Pegida Recht. Und da liegt die Gefahr: Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Wunde Punkt, den Pegida anspricht, eine viel größere Strahlkraft in die Mitte der Gesellschaft hat, als ihre sonstigen, wirren, xenophobischen Forderungen. Dies ist der wahre Kern des aktuellen Erfolgs. Wer Pegida bekämpfen will, muss den Menschen ehrlich erklären, warum Einwanderung nicht nur ein notwendiges Übel, sondern der Garant für eine sichere und bessere Zukunft ist. Wer den Freihandel als Wohlstandsmotor auch und grade für die Ärmsten haben will, der muss erklären, wie er wirkt und wann worüber was verhandelt wird. Dann kann kann man auch hinter verschlossenen Türen verhandeln ohne dass irgendwer so tun kann, als wären düstere Mächte am Werk.

 

 

 

 

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