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Die Flüchtlingskrise: Angst hilft nicht weiter.

Ich lebe von Krisen. Als Restrukturierungsberater verdiene ich mein Geld damit, Unternehmen dabei zu helfen, Krisen zu bewältigen. Eine Sache habe ich dabei gelernt: In einer Krise kommt immer all das hoch, was in den letzten Jahren nicht optimal gelaufen ist – egal, ob das nun was mit der akuten Krise was zu tun hat oder nicht. Die großen Dienstwagen und hohen Gehälter der Chefs mögen unangebracht, ungerecht und objektiv falsch sein – sie sind nicht Auslöser der Krise und für die Lösung selten relevant. Aber sie können die Diskussion bestimmen, auch wenn sie den Lösungsweg eher vernebeln. Vor allem, weil schnell der Eindruck entsteht, das Unternehmen hätte vor lauter Problemen keine Stärken, aus denen heraus es wieder erfolgreich werden kann. In der Bewältigung der Krise geht es darum, schnell die Stärken zu finden, aus ihnen Erfolg zu generieren und die Probleme dann eins nach dem anderen, strukturiert abzuarbeiten.

Deutschland hat aktuell ganz offensichtlich eine Krise zu meistern: Die Flüchtlingskrise. Wie in jeder Unternehmenskrise kommt dabei viel hoch, was mit der eigentlichen Krise nichts zu tun hat. Die Schwierigkeiten von Polizei und Justiz im Umgang mit Intensiv- und Wiederholungstätern gibt es nicht erst seit der Silvesternacht in Köln. Dito die mangelnde Unterstützung der Polizei durch die Politik. Rechtes Gedankengut und fortschreitende Europaskesis gibt es sicher nicht erst seit AfD und Pegida an Zustimmung gewinnen, aber sie treten vermehrt in die Öffentlichkeit, Herr Seehofer lässt grüßen. Die Politiknähe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist seit Jahren und Jahrzehnten ein Problem, zeigt sich aber akut an der Debatte über das Fernsehduell in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.

Das sind alles wichtige Themen – grade das letzte liegt mir persönlich sehr am Herzen – aber sie sind für die Bewältigung der Flüchtlingskrise irrelevant, auf jeden Fall nicht kriegsentscheidend. Nicht nur das: sie und die Debatte über sie sind – derzeit – schädlich.

Die eigentliche Flüchtlingskrise bringt genug Aufgaben mit sich: Es gilt, einer großen Anzahl Flüchtlingen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und ihnen einen Weg zum Aufbau einer Existenz und damit auch zur Integration aufzuzeigen. Das, ohne uns und unsere Lebensweise, unseren Sozialstaat, Rechtsstaat, was auch immer aufzugeben. Es gilt, die Flüchtlinge so zu steuern, dass alle Hilfsbedürftigen Hilfe bekommen, aber eben auch nur die. Und ja, es gilt, die europäischen Partner bei der Bewältigung dieser Aufgabe mit ins Boot zu holen. Das alles ist Herausforderung genug.

Dabei werden die Flüchtlingkrise selbst und ihre möglichen Folgen derzeit ein, zwei Nummern zu hoch aufgehängt. Merkel hatte schon Recht: Wir schaffen das. (Mehr dazu: hier). Bei aller Herausforderung, die die Flüchtlingskrise für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft mit sich bringt: Sie ist ganz sicher nicht der Untergang Deutschlands oder gar des Abendlandes. Den ruft zwar explizit nur der rechte Rand hervor, aber er findet sich in Form eines „wo führt das alles nur hin“ auch immer mehr zwischen den Zeilen seriöser Kommentatoren und leider auch in politischen Aussagen aus der Mitte. Das sprichwörtliche Spiel mit dem Feuer ist ein leider sehr greifbares Spiel mit der Angst geworden. Das ist nicht minder gefährlich. Vor allem, weil die Substanz der Krise den Alarmismus nicht hergibt.

Als würde dieser konkretere Alarmismus nicht ausreichen wird die Angst mit den oben angesprochenen zusärtzlichen Themen noch verschärft. Es entsteht der Eindruck, dass in der deutschen, der europäischen rechtsstaatlichen Demokratie aktuell weit mehr im Argen liegt, als „nur“ die Flüchtlingskrise. Ich will gar nicht bestreiten, dass sowohl in Europa als auch in Deutschland vieles schiefläuft und mehr oder weniger dringend zu ändern ist. Aber die derzeitige, häufig ungehemmte, im Stakkato daherkommende Kritik übersieht die Stärke der deutschen und europäischen Institutionen und der Zivilgesellschaft. Das wäre allles nicht schlimm, würde die Kritik damit nicht erst den Zustand schaffen, den sie kritisiert. Zivilgesellschaft und Institutionen leben vom Vertrauen in sie. Die aktuelle Kritik beschädigt das Vertrauen in einer ohnehin prüfenden Zeit.

Das soll keine Aufforderung zu einem „Burgfrieden“ sein, in dem keine Kritik mehr zugelassen ist. Aber es ist eine Aufforderung an Politik, Presse und die Öffentlichkeit mit Kritik verantwortlich und ruhig umzugehen. Wie das gehen kann: Auch das Positive sehen und beschreiben und es  gegen die Kritik abwägen: Offene Grenzen bedeuten eben nicht nur schwer kontrollierbare Flüchtlingsströme, sondern auch freie Fahrt für Waren und Menschen (und für mich als Münchner: Kontrollfreies wochenendliches Skifahren in Österreich). „Europa“ ist eben nicht nur brüsseler Regelungswut, sondern Basis für Frieden und Wohlstand auch in Deutschland. Und ein Staat, der die Ereignisse von Köln ganz zu unterbinden vermag, ist, wenn er denn überhaupt möglich ist, ganz sicher ein Polizeistaat, in dem wir nicht leben wollen. Gleiches gilt für einen Staat, der vorsichtshalber wegsperrt – oder abschiebt.

„The only thing we have to fear is fear itself.“ sagte Franklin D. Roosevelt in seiner Antrittsrede als US-Präsident. Er hatte eine der, wenn nicht die, größte politische und gesellschaftlichen Krise vor sich, die je ein Politiker zu bewältigen hatte: die Weltwirtschaftskrise. Und er hat sie mit dieser Haltung bezwungen. Deutschland und Europa sollten sich das jetzt mehr denn je zu Herzen nehmen. Denn nichts schwächt unsere an sich starke und belastbare Zivilgesellschaft mehr, als die Angst, sie zu verlieren. Unsere westliche Wertegemeinschaft überlebt viel besser, wenn wir sie einfach leben und sie nicht aus Angst, sie zu verlieren, in der bayerischen Verfassung niederschreiben.

Was das konkret heißt: hilfsbedürftige Menschen, gleich welcher Religion und Herkunft willkommen zu heißen. Trotzdem Karneval und Silvester in aller Freizügigkeit zu feiern. Nackte Statuen unverhüllt zu lassen, egal, wer daran vorbeiläuft. Die Verfolgung und Verurteilung von Straftätern der Polizei und der Justiz zu überlassen. Nicht in mediale oder poltische Empörung zu verfallen, um mehr Leser oder Wählerstimmen zu bekommen. Auch Menschen, die verquere und falsche Meinungen haben, zu Wort kommen zu lassen in der Überzeugung, dass die bessere Idee gewinnt – was sie meistens, wenn auch auf Umwegen, tut. Vertrauen darauf zu haben, dass ein Staat, der effektiv prüft, ob nur mit Angellizenz geangelt wird, es auch schafft, mit hunderttausenden von Flüchtingen fertig zu werden. Diesem Staat, die Zeit geben, die Strukturen dafür zu schaffen. Nicht zu erwarten, dass der Staat und die Gesellschaft auf jede Frage, vor allem auf große Fragen, sofort eine Antwort haben, sondern das auch manchmal Zeit braucht. Nicht jede Verunsicherung (auszu)nutzen, um das loszuwerden, was einem immer schon ein Dorn im Auge war. Zu wissen, dass die parlamentarische Demokratie manchmal ermüdend viel Zeit braucht, um was zu bewegen, dass sie es aber bisher noch immer geschafft hat, die richtigen Antworten zu finden. Das Selbstvertrauen haben, dass Deutschland und Europa sich zwar verbessern können und müssen aber trotzdem im Großen und Ganzen in Ordnung sind. Mehr als das: Dass wir mit unseren Freunden Erstaunliches geschafft haben und dass es keinen Grund gibt, zu glauben, dass wir das nicht nochmal schaffen.

Das ist nicht einfach. Aber so schwer ist es auch nicht. Nur ist Angst ein schlechter Ratgeber; vor allem in der Krise.

Merkel und die Flüchtlingskrise: An meine Parteifreunde

Ich mochte Angela Merkel lange Zeit nicht. Ihr zurückhaltender nicht-Führungsstil, ihr Abwarten und dann mit dem Strom schwimmen, ihr sich-eine-Krise-verschärfen-lassen-bis-mein-Weg-alternativlos-ist waren mir zuwider. Sie hatte oftmals die Wahl dazwischen, das Richtige sofort zu tun oder zu warten, bis es unausweichlich ist und ihr die Menschen zerknirscht zustimmen müssen. Sie hat sich fast immer für letzteres Entschieden. So ist die Eurokrise nicht entstanden, aber dreimal größer geworden als nötig.

Jetzt ist Angela Merkel „Person of the Year“ des Time Magazine. Weil sie in der Flüchtlingskrise führt. Weil sie Dinge tut, die in ihrer eigenen Partei nicht beliebt sind. Die aber richtig sind. Weil sie sich zwar lauten, aber arbiträren Forderungen (Obergrenze!) widersetzt. Weil sie ein klares Bild von einem offenen, pluralistischen Deutschland hat, das sie nicht tagespolitischen Erwägungen unterwerfen will.

Meine Partei, die FDP, reagiert darauf mit an Häme grenzender Kritik. Ich habe oft eine stärkere Abgrenzung der FDP gegenüber der CDU gefordert und halte die Fiktion eines einheitlichen „bürgerlichen Lagers“ nach wie vor für einen großen Fehler. Warum nun aber die Bürgerrechtspartei FDP ausgerechnet Merkels liberale Flüchtlingpolitik zum Stein des Anstoßes macht, ist unerklärlich. Persönlicher ausgedrückt: es ist schade und ein bisschen abstoßend. Es fehlt an intellektueller Tiefe, an der Auseindandersetzung mit der Frage, wie denn die Grundrechte, als deren Verteidiger sich die FDP gerne geriert, auch in dieser Krise ein Leitfaden für pragmatische Politik sein können. Es ist bezeichnend, das die FDP noch nicht mal erkannt hat, dass aus dem Grundrecht Freizügigkeit ein Dilemma für jede Einwanderungspolitik entsteht. Ein Dilemma, auf das eine liberale Partei eine Antwort finden müsste. Die FDP in der Flüchtlingskrise sieht noch nicht mal die Frage.

Angela Merkel hat auf die Flüchtlingkrise so reagiert, wie eine liberale Regierung reagieren müsste. Erstens mit einer klaren, in den Menschenrechten verankerten Vorstellung einer pluralistischen, humanen Gesellschaft in der jeder Flüchtling die Chance bekommen muss, seines eigegen Glückes Schmied zu werden. Zweitens mit der deutlichen Ansage, dass eine solche Krise nicht vom Staat alleine bewältigt werden kann. In Merkels „Wir schaffen das“ steckt eben nicht nur die Zuversicht, dass die Aufgabe bewältigt werden wird, sondern auch das Bewusstsein, dass es eine große Herausforderung ist und die Aufforderung an uns alle, an deren Bewältigung mitzuarbeiten. Drittens mit der Entschiedenheit, sich nicht auf irgendwelche Symbolpolitik (wiederum: die Obergrenze) einzulassen, sondern echte Lösungen zu erarbeiten. Auch wenn sie Zeit brauchen und sich unspektakulär in der Verwaltung eher denn in neuen Gesetzen verstecken. Viertens mit der Erkenntnis, dass es das Wesen einer Krise ist, dass sie für eine gewisse Zeit Chaos mit sich bringt. Kein vernünftiger Staat kann auf diese Krise vorbereitet sein. Ein Staat, der das wäre, wäre wirklich der ungebändigte Leviathan, der in vorauseilendem Gehorsam alle Eventualitäten regelt und dadurch seine Bürger auch im Letzten einschränkt. Fünftens und letztens, mit einer Politik vieler kleiner durchdachter Schritte, die unter Einbindung der europäischen Partner die Flüchtlingzahlen in Deutschland reduzieren, die Angekommenen besser verwalten und Wege zur Integration eröffnen. Eben das zu tun, was ein vernünftiger Staat tut, um eines unerwarteten Chaos‘ Herr werden.

Als Bürgerrechtspartei müsste die FDP erkennen, dass es ein Gebot der Menschlichkeit ist, Flüchtlinge aufzunehmen, egal wie viele kommen. Als Verfechter eines kleinen, schlanken Staates müsste die FDP wissen, dass die mehreren gezielten und kleinen Maßnahmen besser wirken und weniger Leviathan-esk sind, als die eine große Regulierung (Obergrenze). Sie müsste in die Initiative des Einzelnen vertrauen, an der Bewältigung der Krise mitzuwirken. Sie müsste das Chaos nicht zur zulassen, sondern erklären, dass es eine zweifellos unschöne Konsequenz ebenso zweifellos richtigen Handelns ist.

Sie müsste die Größe haben, liberale Politik zu begrüßen, auch wenn sie von anderen gemacht wird. Und sie muss wissen, dass der ohnehin mit der Marke FDP hadernde Wechselwähler diesen inneren Widerspruch spürt.

Give me your tired, your poor…

Ich habe derzeit viel in den USA zu tun. Ein großer Vorteil ist, dass ich meine Wochenenden in New York City verbringen kann. Auf der Fahrt vom Flughafen Newark nach Manhattan führt der Highway sehr nah an der Freiheitsstatue vorbei. Als ich sie das erste Mal (wieder-) sah, viel mir die Inschrift auf dem Sockel ein, die ich vor 20 Jahren im Politikunterricht während meines Austausches in Alabama hatte auswendig lernen müssen. (Und ja, ich konnte mich nur noch an die ersten zwei Zeilen erinnern, den Rest hb ich gegoogled)

„Keep, ancient lands, your storied pomp!“ cries she
With silent lips. „Give me your tired, your poor,
Your huddled masses yearning to breathe free,
The wretched refuse of your teeming shore.
Send these, the homeless, tempest-tossed to me:
I lift my lamp beside the golden door.“

oder, auf Deutsch:

„Behaltet, o alte Lande, euren sagenumwobenen Prunk“, ruft sie
Mit stummen Lippen. „Gebt mir eure Müden, eure Armen,
Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren,

Den elenden Unrat eurer gedrängten Küsten;
Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen,
Hoch halt‘ ich mein Licht am gold’nen Tore!“

Ich weiß. Amerikanischer Pathos. Schwierig. Und doch trifft diese Strophe so den Kern der aktuellen Flüchtlingskrise in Europa. Wobei ich gar nicht von Krise sprechen will: Es ist eine Aufgabe. Noch mehr: es ist eine Chance. Dass wir Europäer nicht nur die – Entschuldigung – verdammte Pflicht haben, diesen Menschen zu helfen, sondern dass es auch in unserem urgeigensten Interesse ist, hat der Economist schon hervorragend zusammengefasst. Der Arikel geht auch auf den vollkommenen Blödsinn ein, dass wir in igendeiner Form mit den „Flüchtlingsmassen“ nicht fertigwerden könnten; viel ärmere Länder haben viel mehr Flüchtlinge aufgenommen.

Nein, es geht um etwas anderes und deswegen will ich auch nicht von Flüchtlingskrise sprechen, sondern von Chance. Das „Licht am gold’nen Tore“ aus dem Gedicht hat für Millionen von Auswanderen die Ankunft in einer besseren Welt bedeutet. Eine Welt, die sie mit geschaffen haben, eine Welt, die ohne all diese Einwanderer nie zur wirtschaftlichen, politischen und intellektuellen Supermacht aufgestiegen war. (Und ich will jetzt nicht diskutieren, was das im einzelnen bedeutet und wie das zu bewerten ist. Fakt ist: Die USA sind eine von Einwandern geschaffene Erfolgsgeschichte).

Ich will, dass wir begreifen, dass es nicht nur unsere Pflicht und unser Interesse ist, Flüchtlinge aufzunehmen. Es ist die Basis für unsere Zukunft. Ich weiß nicht, wie sie aussehen wird, aber ich weiß, dass sie besser sein wird als das heute.

Griechenland und die Eurozone aus Sicht eines Restrukturierungsberaters

Ich bin Restrukturierungsberater. Zumindest arbeite ich als solcher. Ich lebe – finanziell – davon, dass eine Bank feststellt, dass sie einem Unternehmen Kredite gegeben hat, das nicht mehr funktioniert. Diese Bank will nun von mir, dass ich dem Unternehmen wieder auf die Beine helfe. Damit sie ihre Kredite wiederbekommt. Und idealer Weise das Unternehmen weiter besteht. Denn die meisten Mitarbeiter des Unternehmens haben bei der Bank ihre Häuser finanziert.

Wenn ich mir dann anschaue, was da eigentlich los ist und was da genau passiert ist, finde ich fast immer das gleiche: Das Unternehmen war nie wirklich top aufgestellt, aber hat sich „durchgewurschtelt“. Irgendwann hat sich der Markt verändert, der Umsatz stagniert, das Ergebnis sinkt. Der Unternehmer braucht dann Geld und geht zur Bank. Und er bekommt es, trotz der Lage des Unternehmens. Aber die Bank will sein Privathaus als Sicherheit. Der Unternehmer gibt’s her, das Unternehmen ist meistens sein Lebenswerk. Nun hilft auch diese Finanzierung nicht, die Probleme liegen ja im operativen Geschäft, nicht in der Finanzierung. Ein bis zwei Jahre später stehen alle vor dem Abgrund: Die Bank ist sauer, weil das Geld weg ist und hält sich für betrogen, weil ihr guter Wille, auch in der Krise zu finanzieren, zu nichts geführt hat. Der Unternehmer steht vor den Scherben seiner Existenz, weil das Unternehmen so gut wie pleite ist und die Bank ihm jetzt auch sein Privathaus nehmen kann.

Kommt das bekannt vor? Die Griechenlandkrise folgt genau dem Muster: Die Griechen wirtschaften schlecht und kommen in die Krise. Die „Eurozonen-Bank“ hilft ihnen aus, verlangt aber Sicherheiten (in dem Fall nicht in Form von Privathäusern, sondern von Austeritätsmaßnahmen). Ein paar Jahre später: Der Abgrund. Jetzt muss der Berater ran.

In beiden Beispielen geht es um eine Vertrauenskrise. Die lässt sich nicht durch einzelne  Maßnahmen beheben, seien diese nun Mitarbeiterabbau beim Unternehmen oder Mehrwertsteuererhöhungen in Griechenland. Salopp ausgedrückt: Der Karren steckt im Dreck, weil jeder meint, es sei des anderen Verantwortung, ihn da rauszuziehen. Keiner rührt einen Finger, bis nicht der andere den ersten rührt, und zeigt, dass er was tut. Eben weil das Vertrauen fehlt, dass der andere den Karren nicht gleich wieder fallen lässt.

Zwei Dinge sind so gut wie im jeden Fall relativ schnell offensichtlich: Erstens, dass sich der Schuldner grundlegend ändern muss. Zweitens, dass er das nicht aus eigener Kraft schaffen kann; sprich Zeit und daher meistens Geld braucht. Sei es neues Geld oder einen Schuldenschnitt, auch bei Unternehmen gibt es den.

Was also tut der Restrukturierungsberater in diesem Fall? Wie lässt sich das Vertrauen wiederherstellen? Der Berater hilft im ersten Schritt schon qua seiner Rolle: Er genießt das Vertrauen der Bank und schaut genau ins Unternehmen rein. Wichtig dabei: Er ist eben kein Mitarbeiter der Bank, der nur deren Interessen vertritt, schließlich wird er auch vom Unternehmen bezahlt. Er moderiert. Ähnlich, wie es die Schlichter bei festgefahrenen deutschen Tarifverhandlungen tun. Nicht so, wie es die Troika in Griechenland getan hat.

Der zweite Schritt ist: Das Unternehmen muss anfangen, aus eigenem Antrieb und eigener Kraft zu handeln. Nur das umzusetzen, was die Bank vielleicht verlangt, ist aus zwei Gründen Irrsinn: Erstens hat die Bank in der Regel keine Ahnung, was dem Unternehmen konkret hilft, zweitens rennt das Unternehmen den Forderungen der Bank dann immer hinterher. Das Unternehmen muss also seinen eigenen Plan vorlegen und sofort anfangen den umzusetzen und so ein Signal an die Bank senden, dass es sich ändert. Worte, Pläne und Konzepte sind wichtig, reichen aber nicht.

Damit kann das Unternehmen dann im dritten Schritt zur Bank gehen und sagen: „Wir haben schon was getan“. Nicht unbedingt das, was Ihr von uns wollt. Aber das, wovon wir glauben, dass es hilft. Und unser Berater bestätigt, dass das zielführend ist. Idealerweise zeigen sich schon erste Erfolge. Wenn die Bank dann „Nein“ sagt, hat sie den sprichwörtlichen Schwarzen Peter – auch und grade bei den Menschen, die wegen der fehlenden FInanzierung vielleicht ihren Job verlieren und ihre Häuserfinanzierung nicht mehr tilgen können.

Im vierten Schritt hält dann das Unternehmen die Bank regelmäßig auf dem Laufenden über den Status der Umsetzung. Auch hier kann der Berater moderieren.

Ich bin fest überzeugt, dass in diesem Vorgehen zum einen der Grund für die dramatische Eskalation der Griechenland-Krise in den letzten Wochen zu finden ist, zum anderen aber auch der Lösungsweg aus eben dieser Eskalation liegt.

Der Grund ist hier zu finden, weil hier sowohl die Fehler der Europäischen Länder als auch der Syriza-Regierung deutlich werden. Es ist schlicht Irrsinn, als Geldgeber konkrete Maßnahmen zu fordern: Die Verantwortung für die Sanierung liegt beim Schuldner und nur da. Griechenland hätte alle Freiheit der Welt haben müssen, die eigene Sanierung zu planen und umzusetzen. Die Geldgeber hätten immer noch die Macht gehabt, ein Konzept als Ganzes als nicht tragfähig abzulehnen. Andererseits hätte Griechenland und vor allem die Regierung Syriza mit dieser Freiheit verantwortungsvoll umgehen müssen. Dass diese Regierung  ihre eigenen Ideen (Hohe Steuern auf hohe Einkommen, Besteuerung der Kirche, welche Form auch sonst das versprochene „Angehen der alten Eliten“ genommen hätte) noch nicht mal im Ansatz angegangen ist, ist dreifach fahrlässig. Erstens, weil sie als wichtige Sanierungsmaßnahmen Geld in die Kasse spülen, zweitens, weil es als klares Signal an die Geldgeber die Verhandlungen erleichtert hätte, drittens weil es nun mal die Aufgabe einer souveränen Regierung ist, souverän in beiden Wortsinnen zu regieren und die eigene Politik vor dem eigenen Volk zu vertreten. Das Versagen der Regierung Tsipras liegt nicht darin, dass sie gegen den vermeintlichen Willen konservativer Geldgeber eine Linke Politik durchdrücken wollte, sondern dass sie eben diese Linke Politik gar nicht erst aktiv verfolgt hat. Wohl, um eine bessere Verhandlungsposition aufzubauen. Das ist ganz offensichtlich schiefgegeangen und ist grade dabei noch schiefer zu gehen.

Die wie mir scheint einzige Lösung liegt in genau diesem Vorgehen: Wenn die griechische Regierung ein schlüssiges Gesamtkonzept vorlegt und – das ist wichtig – zumindest erste Maßnahmen daraus auch gleich beschliest und umsetzt, würden weitere Verhandlungen tatsächlich unter anderen Vorzeichen stehen. Die Geldgeber würden mit einer Regierung verhandeln, die ihren Refomwillen nicht nur verbal bekräftigt, sondern tatsächlich gezeigt hat.

Ein Berater wäre sinnvoll. Aber er muss, tatsächlich, unabhängig sein. Vielleicht lässt sich in China, den USA oder vielleicht sogar in Afrika jemand finden, der demokratisch unbedenklich ist und von Staatensanierung etwas versteht. Vielleicht ein ehemaliger UN-Generalsekretär oder Bill Clinton. Wenn nicht, dann lieber kein Berater als eine Troika 2.0, der aus Sicht der Griechen schlicht die Legitmität fehlt. Das mögen noch so große Experten sein, ihre Empfehlungen mögen noch so richtig sein: Ohne wenigstens eine Grundlegitimät können sie nichts bewirken und als „Agent der Gegenseite“ ist jede Skepsis nachvollziehbar.

Was noch wichtig ist: Die Geldgeber müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie einer so wieder vertrauenswürdigeren griechischen Regierung tatsächlich Geld geben müssten. Das wäre auch gut so: Genauso wie die Bank im obenstehenden Beispiel mit den Häuserfinanzierungen der Mitarbeiter des Unternehmens ein Interesse hat, weiter ins Risiko zu gehen und das Unternehmen nicht untergehen zu lassen, haben auch die Geldgeber, also wir ein Interesse, Griechenland zu retten.

Wenn Griechenland auch in dem Sinne europäisch werden will, dass es langfristig auf eigenen Beinen steht und den Preis dafür zu zahlen bereit ist, dann ist dies im Sinne des großen europäischen Projektes, das uns nun schon 70 Jahre Frieden bringt. Das sollten, das müssen wir unterstützen. Auch wenn es teuer wird.

 

Die Homo-Ehe. Oder: Was ist ein Grundrecht?

Die saarländische Ministerpräsidentin lehnt die Homo-Ehe mit der Begründung ab, dass dann irgendwann auch Inzest legalisiert werden könnte. Was das miteinander zu tun haben soll, ist nicht ganz klar. Vor Allem verkennt Frau Kramp-Karrenbauer das Wesen von Grundrechten.

Ein ganz wesentliches Grundrecht steht nicht im deutschen Grundgesetz, vermutlich weil es so selbstverständlich ist: Die Gleichheit. Das kann nun alles oder nichts heißen, aber was es in Bezug auf Grundrechte bedeutet macht der großartige Satz von Thomas Jefferson klar, der den Kern der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung bildet:

Wir halten es für eine sich selbst beweisende Tatsache, dass alle Menschen gleich [geschaffen] sind und dass sie [von ihrem Schöpfer] mit gewissen unverwirkbaren Rechten ausgestattet sind und dass zu diesen Rechten das Leben, die Freiheit und das Streben nach Glück gehören.

Hier steht die Gleichheit erstens noch vor den Kernrechten und es ist klar, dass alle Menschen mit den gleichen Rechten ausgestattet sind, wenn sie auf die Welt kommen. Ob das Folge einer Schöpfung ist, lassen wir dahingestellt. Entscheidend ist: Alle Menschen sind mit den gleichen unverwirkbaren Rechten ausgestattet. Punkt. Wobei das mit dem „ausgestattet sein“ durchaus wörtlich zu nehmen ist: Ein Grundrecht ist immer immateriell, es wohnt dem Menschen inne. Deswegen können selbst so grundlegende materielle Dinge wie Wasser, Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf keine Grundrechte sein, der Mensch hat sie ja nun nicht bei Geburt. Daraus folgt auch: Ein Staat oder sonst irgendwer kann Grundrechte nicht „geben“ oder „verleihen“. Er kann sie höchstens vorenthalten.

Insoferngeht es im aktuellen Fall auch nicht darum, irgendwem das Recht auf Ehe zu geben, sondern einen Missstand zu beseitigen: Den, dass das Recht auf Heirat einer Personengruppe bisher vorenthalten wurde. Da ist auch der Verweis auf den Schutz der Ehe im Grundgesetz nicht zielführend. Sollte der tatsächlich so gemeint sein, dass Homosexuelle nicht heiraten dürfen – und es ist keineswegs sicher, dass der so gemeint ist –  wäre das Grundgesetz in diesem Punkt ein Produkt des Zeitgeistes von 1949 und nicht Ausdruck übergeordneter Rechte und damit hinfällig.

Gleichheit heißt: Entweder alle, oder niemand. Da selbst Frau Kramp-Karrenbauer und erhebliche Teile der CDU/CSU nicht ernsthaft in Frage stellen werden, dass es keine Ehe mehr geben soll, heißt dass, das wir gar nicht anders können, als aufzuhören, diese Homosexuellen vorzuenthalten.

Was etwas komplett anderes ist, als das Inzestverbot. Das hat nun mal profunde biologische Gründe: Hier kann ein mögliches Kind echten, biologischen Schaden nehmen, vor dem es geschützt werden muss! Damit hat das Inzestverbot mit Blick auf Gleicheit und Homoehe eine spannende Konsequenz: Wenn ein Bruder seine Schwester nicht lieben darf, darf dann eben auch ein Bruder einen Bruder nicht lieben, selbst wenn bei dieser Verbindung keine missgebildeten Kinder enstehen können. Genauso, wie andersherum jede Ehe Recht (mit großem R) ist, auch wenn aus ihr keine Kinder hervorgehen können.

Streikrecht. Absolut?

Letzte Woche hat die GDL mit ihrem 8. Streik den Bahnverkehr in Deutschland weitgehend lahmgelegt. Diesmal für ganze sechs Tage. Die ganz große Wut blieb aus – vermutlich weil wir uns schon dran gewöhnt haben. Der Popularität der GDL und ihrem Vorsitzenden Claus Weselsky hat es trotzdem nicht geholfen: Die meisten Deutschen halten den Streik für maßlos überzogen. Insgeheim hoffen sie wohl auf das Tarifeinheitsgesetz, nachdem die GDL zwar weiter für die Lokführer verhandeln und streiken darf, die sie mehrheitlich vertritt. Für die andere Berufsgruppen wäre dann die EVG exklusiv zuständig.

In diesem Tarifeinheitsgesetz und in der harschen Kritik an Herrn Weselsky sehen nun einige Warner, allen voran der unermüdliche Jakob Augstein, einen Angriff auf die Grundrechte, namentlich das Streikrecht. Das sei ja schließlich im Grundgesetz verankert. Also darf die GDL streiken. Egal wie lang, egal wofür, egal mit welchem Schaden für den Rest der Welt.

So einfach ist die Sache nicht. Jedes Grundrecht hat Grenzen. Niemand käme auf die Idee, dass diese Grenzen das Grundrecht grundsätzlich in Frage stellen würden: Das Eigentum verpflichtet zur Verantwortung (eine Einschränkung, die Herr Augstein zweifelohne begrüßen wird), und natürlich ist es richtig, dass der Eigentümer einer vermieteten Wohnung mit seinem Eigentum nicht machen darf, was er will, sondern auf die Bedürfnisse des Mieters Rücksicht nehmen muss. Die Versammlungsfreiheit ist eingeschränkt: Demonstrationen müssen genehmigt werden. Selbst wenn es keine rechtlichen Einschränkungen eines Grundrechtes gibt, gibt es klare Grenzen. Mein Recht auf freie Meinungsäußerung endet an der natürlichen Grenze der Beleidigung meiner Mitmenschen. Es gibt alle möglichen Bezeichnungen für Herrn Augstein, die mir einfallen würden, aber das heisst nicht, dass ich ihn öffentlich so nennen darf.

Wie jedes andere Recht auch, darf das Streikrecht also eingeschränkt werden. Und wenn die Gewerkschaften schon mit dem Sonderrecht ausgestattet sind, Streiken zu dürfen, dann müssen sie damit auch verantwortungsvoll umgehen. Wenn sie dieser Verantwortung nicht gerecht werden, darf der Staat natürlich einschreiten. Das tut er bei jedem anderen auch: Bei Unternehmern, Bürgern, Autofahrern.

Jetzt ist die Frage: Was ist verantwortungsvoll? Die zu beantworten, ist nicht ganz einfach. Sie ist es vor allem deshalb nicht, weil sie nicht nur die beiden Konflikparteien, also Gewerkschaft und Unternehmen, berührt, sondern auch und insbesondere den Rest der Gesellschaft; grade im Falle eines Bahnstreiks. Ein einfache Antwort gibt es nicht, nur soviel: Sie lautet sicherlich nicht, dass die Gewerkschaft auf jeden Fall streiken darf. Noch ist die Rechtslage so, dass das Streikrecht sehr weit reicht. Das Tarifeinheitsgesetzt wird dies zulasten einzelner Gewerkschaften verändern.

Am Ende des Tages geht es, wie eigentlich immer, wenn es um Machtfragen geht, um Legitimation. Nicht für das Streikrecht an sich, aber für den konkreten Streik. Ist es legitim, den Bahnverkehr für eine Woche stillzulegen, um eine Berufsgruppe zu repräsentieren, die in der Mehrzahl gar nicht von der streikenden Gewerkschaft repräsentiert werden will? Eher nein.

Syriza und die Troika ist gleich Europa und die Schiedgerichte

Nach seinem Wahlsieg sieht sich Herr Tsipras dem Dilemma gegenüber, dass die Erfüllung seiner Wahlversprechen gar nicht von ihm, sondern von Dritten abhängt. In diesem Fall von der Troika und damit letztlich vor allem auch von uns, den Wählern in anderen Ländern. Die Linkspartei mag dabei von Entmachtung sprechen, aber wenn sich ein Staat über Mittel von Dritten finanziert, ist das ja seine freie Entscheidung. Wolfgang Schäuble brachte das ungewohnt präzise auf den Punkt:

„Es hat niemand ein Hilfsprogramm bekommen, der das nicht will, und wenn Herr Tsipras sagt, er will das nicht haben, dann ist das sehr gut, dann wird er andere Wege finden, die Probleme Griechenlands zu lösen.“

Auch eine demokratisch gewählte Regierung ist an Verträge gebunden, die ihre Vorgänger mit Dritten abgeschlossen haben. Genauso wie jede Versicherung ihre Policen aufrecht erhalten muss, auch wenn der Vorstand wechselt. Die Regierung hat zwar alles Recht der Welt, in Verhandlungen über Vertragsänderungen einzutreten, aber kein Recht darauf, dass der Vertragspartner darauf eingeht.

Wenn nun der Vertragspartner, wie im vorliegenden Fall, andere Regierungen oder überstaatliche Organisationen wie EZB und IWF sind, ist das ganz offensichtlich so: Man begegnet sich auf Augenhöhe, verhandelt unter Gleichen. Beide Partner haben eine Form demokratischer Legitimation, beide können Gesetze erlassen oder haben zumindest Richtlinienkompetenz.

Was aber, wenn der Vertragspartner kein Staat oder keine internationale Institution ist? Wenn er ein Privatmann oder ein Unternehmen ist? Wenn es sich um Vertragsparteien handelt, die diese Richtlinienkompetenz nicht haben? Müssen die sich der demokratisch legitimierten neuen Macht einfach beugen?

Nein, das müssen sie nicht. Denn ein Vertrag, den eine Partei entgegen aller Vertragsbestimmungen jederzeit kündigen kann, nur weil sie eine demokratische Regierung ist, ist nichts wert. Pacta sunt servanda – auch von Regierungen.

Nun ist es sicherlich auch nicht zielführend, dass diese Verträge immer und unter allen Umständen bestehen bleiben müssen. Dann stellt sich zwangsläufig die Frage, wer über die Modalitäten eines Auseinandergehens entscheidet. Wenn das Unternehmen im Vertrauen auf den Vertrag Investitionen getätigt hat: In welcher Höhe ist es zu entschädigen? Was ist hier angemessen?

Diese Frage können die Gerichte des Landes, das Vertragspartei ist, nicht entscheiden, da sie der Gesetzgebung dieses Landes unterliegen. Wenn die neu gewählte Regierung und mit ihr das Parlament den Vetrag nicht mehr wollen, könnten sie ja einfach per Gesetz entscheiden, dass er ohne jede Ausgleichszahlung endet. An diese Gesetze wären die Gerichte gebunden. Da sie Teil der einen Vertragspartei sind, können sie nicht über das Vertragsverhältnis entscheiden. Um bei unserem Beispiel der Versicherungpolice zu bleiben: Auch die objektivste Revisionsabteilung der Versicherung wäre ein schlechter Richter über Ausgleichzahlungen an einseitig gekündigte Kunden.

Genau deswegen braucht es die in Sachen TTIP so umstrittenen Schiedsgerichte. Es geht schlicht nicht ohne sie. Sonst gäbe es zwischen Staaten und Unternehmen keine Gerechtigkeit.

Damit ist übrigens nicht gesagt, dass die sehr intransparenten Schiedsgerichte, die in bestehenden Investorenschutzabkommen vorgesehen sind, die richtige Lösung sind: Sie sind es nicht. Aber die aktuelle Abneigung gegen Schiedsgerichte per se verfehlt das Ziel. Es geht nicht um das „ob“, es geht um das „wie“: Wie müssen die Schiedsgerichte aussehen, damit sie die Interessen sowohl der Unternehmens als auch des Staates berücksichtigen? Auf Basis welcher Grundlagen entscheiden sie? Und wie lassen sie sich transparent gestalten?

Das wäre die Frage, die zu diskutieren wäre. Vielleicht hilft es ja, dass sich die Deutschen nun nicht auf der Seite des kündigenden, sondern des (vielleicht) gekündigten Vertragspartners wiederfinden.

Mindestlohn für Praktikanten oder der kalte Materialismus der SPD

In diesem Facebook-Post habe ich meine Frustration darüber zu Ausdruck gebracht, dass ich durch den Mindestlohn einen Praktikanten nicht einstellen konnte, obwohl wir uns über Dauer des Praktikums und die Bezahlung einig waren. Bei mehr als drei Monaten Dauer hätte ich ihm den Mindestlohn zahlen müssen – rd. 1.350 Euro im Monat.

„Zahl einfach vernünftig“ ist die Antwort eines Freundes, der tief in der SPD zu Hause ist. Ich gestehe, dass mich diese Antwort persönlich trifft: Sie beinhaltet den Vorwurf, ich würde meine Praktikanten nicht vernünftig bezahlen, ich wäre ihnen gegenüber nicht fair. So habe ich mich bisher nicht gesehen. Auch nach einer Nacht drüber schlafen sehe ich mich nicht so. Die knapp tausend Euro im Monat, die wir zahlen, sind nicht wenig für einen Praktikanten. Aber darum geht es nicht: Ich nehme für mich in Anspruch, unseren Praktikanten mehr zu bieten: Ich nehme mir Zeit zum Erklären. Ich biete  spannende Projekte. Eben einen Einblick in den deutschen Mittelstand. Ich achte drauf, dass sie nicht mehr als 40 Stunden die Woche arbeiten.

„Zahl einfach vernünftig“. Aus diesen Worten spricht das, was Sebastian Haffner den kalten Materialismus und die ökonomischen Zwangsvorstellungen der Sozialdemokratie genannt hat. Hier ist das die Reduktion eines Ausbildungsverhältnisses auf eine nackte Zahl. Damit einher geht das Ignorieren der schlichten Tatsache, dass jedes Arbeitsverhältnis, wie jede andere zwischenmenschliche Beziehung auch, von etlichen Facetten geprägt ist. Keine Frage, Lohn & Gehalt sind ein wichtiger Bestandteil dieses Verhältnisses. Aber ganz sicher nicht der einzige. Die Freundschaft jedenfalls, die ich zu vielen meiner Ex-Praktikanten auch Jahre später noch unterhalte, kommt in diesem Bild nicht vor.

Das ist das Dilemma der deutschen Mindestlohngesetzgebung. Es geht nicht um die Frage, ob mindestens 8,50 Euro ein faires Minimum für einen Lohn ist. Die wäre einfach mit „ja“ zu beantworten. Es geht darum, dass die Reduktion auf diese Zahl so viel anderes übersieht: Harte und weiche Nebenleistungen und die Möglichkeit, auf individuelle Voraussetzungen und Besonderheiten einzugehen. Bezeichnend übrigens, dass diejenigen meiner Facebook-Freunde, die bei Konzernen arbeiten, viel weniger Verständnis für meinen Post gezeigt haben, als die, die in kleineren individuellen Strukturen arbeiten. Aber sozialdemokratische Politik ist, eben in ihrem materialistischen Wesen, immer Konzernpolitik: Wer tausende Mitarbeiter hat, arbeitet ohnehin standardisiert, wenn der Standard vom Gesetzgeber kommt, macht das kaum was. Wer als kleines Unternehmen individuelle Wege geht, für den wird’s schwierig. Wie bei so vielen sozialreformerischen Ideen folgen aus einer zweifelsohne gut gemeinten Idee häufig weniger gute Konsequenzen. Was das im konkreten Fall heissen kann, habe ich in den Kommentaren zu dem Kommentar schon geschrieben.

Noch eine unschöne Konsequenz ist, dass aufgrund einer arbiträren Gesetzgebung persönliche Vorwürfe zwischen Freunden gepostet werden.

Neues FDP CI: Magenta? CMYK!

Gestern hat mich ein Kollege gefragt, was ich denn vom neuen CI der FDP halte. Vor allem das Meganta ist ja irgendwie komisch. Dazu müsse man doch irgendwie eine Meinung haben. Also hier ist sie:

Die Idee finde ich genial. Es wurde ja nicht einfach die etwas eigenartige Farbe „Magenta“ zum FDP Blau-Gelb hinzugefügt, sondern auch das Blau und das Gelb wurden geändert. Auf die Grundwerte im CMYK Farbspektrum, also auf Cyan, Magenta und Yellow. Das sind die Grundfarben, aus denen jeder Drucker dieser Welt alle die anderen Millionen Farben, die er so zu drucken hat, zusammenmischt.

Das gefällt mir deshalb so gut, weil liberales Denken genau so funktioniert: Aus ganz wenigen immer gleichen Grundgedanken (Demokratie, Grundrechte und Rechtsstaat) baut sich die Haltung zu jedem tagespolitischen Thema zusammen. Und das auch dann, wenn das in Einzelfällen zu einer unpopulären und schwer erklärbaren Haltung führt. Die Bürgerrechte dürfen auch in Zeiten des Terrors nicht außer Kraft gesetzt werden. Das Recht auf Eigentum bleibt auch in Zeiten von sozialer Ungleichheit bestehen. Ein Infrastrukturprojekt, von dem viele Menschen profitieren, muss auch mal gegen den Willen der direkten Anwohner umgesetzt werden. Und so weiter und so fort.

Und das bringt mich zurück zur Streitfarbe Magenta: Das muss zum CI der FDP gehören. Nicht, weil es unbedingt schön ist. Sondern weil die Idee mit den Grundfarben so elegant, so ur-liberal ist.

Pegida, TTIP und die Angst

Ich weiß, dass es zwischen der Angst der TTIP-Gegner und der Pegida-Demonstranten einen wesentlichen Unterschied gibt. Letztere ist viel offensichtlicher und bewusster menschenverachtend und bösartig. Das will ich nicht bestreiten und schon gar nicht legitimieren.

Und trotzdem gibt es eine entscheidende Gemeinsamkeit: Angst. Angst, die  die Vernunft ausschaltet. Angst, die Menschen emotionalisiert. Angst, die sie auf die Straße gehen lässt. Bezeichnenderweise in beiden Fällen Angst vor recht diffusen Dingen: Weder die „Islamisierung“ noch TTIP sind wirklich greifbar. Die angebliche Islamisierung ist es vor allem in Dresden nicht, und TTIP noch viel weniger, da kein Mensch weiß, was drinstehen wird – es wird ja noch verhandelt. Die Liste könnte man noch beliebig erweitern: Fracking, Finanzkapital (ich dachte, das sei als Gespenst ausgestorben, aber Jakob Augstein belehrt mich wöchentlich eines besseren), Überfremdung, Lobbies, Sozialabbau usw.. Alles Dinge, die es, wenn’s um technisches geht, noch nicht oder nur testweise gibt, oder die andernfalls irgendwie herbeigeschrieben irgendwo auftauchen. Gerne in Nebensätzen, wo sie nicht verargumentiert werden müssen, sondern sie einfach postulieren werden können. Das wiederholt sich dann solange, bis sie irgendwie gefühlt real sind. Und dann haben auf einmal alle Angst davor und sind dagegen. Weil das einfach falsch ist. Und weil die Politiker uns – wer auch immer das ist – dazu belogen haben. Warum das konkret falsch ist, und wo konkret uns die Politik belogen hat: Fehlanzeige. Vor allem dabei, was vielleicht auch dafür sprechen würde.

Problematisch ist an allen diesen Ängsten, dass sie einen wahren Kern haben. Schon per se: Sie sind für jeden einzelnen, der sie fühlt, subjektiv real. Das zwingt dazu, auf die Menschen und, nunja, ihre Ängste einzugehen und mit ihnen darüber zu reden. Das ist erstens nicht einfach und zweitens unangenehm: Man müsste ja mit Andersdenkenden, noch dazu sehr überzeugten, debattieren und sich mit ihnen und ihren mal berechtigten, mal völlig abwegigen Argumenten auseinandersetzen. Man müsste noch was tun, worin die deutsche Politik, vor allem Frau Merkel, notorisch schlecht ist: Führen. Gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen nicht hinterherrennen, sondern sie erkennen, debattieren, steuern und auch und vor allem: Sie offen kommunizieren. Dazu gehört auch das Anerkennen der eigenen Machtlosigkeit: Ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht, ist keine politische Entscheidung. Es ist eine Folge des Verhaltens von Millionen Deutschen, die weniger Kinder bekommen (also dessen, was gemeinhin „demographischer Wandel“ genannt wird, als ob da niemand was dafür könnte) und der positiven wirtschaftlichen Entwicklung hier und weniger guten anderswo. Damit ist einer der Hauptgründe für den aktuellen, übrigens immer noch geringen, Erfolg von Pegida, dass die Politik jahrelang eine Scheindebatte darüber geführt hat, ob Deutschland nun ein Einwanderungsland sein will oder nicht. Es war von Anfang an klar: Deutschland muss eins sein. Es geht gar nicht anders. Es ist etwas verlogen, sich jetzt als Politiker darüber zu wundern, dass einem die Menschen nicht mehr vertrauen, wenn man ihnen vorgegaukelt hat, gegen so schlichte Erkenntnisse ankämpfen zu können. Ich bin übrigens bewusst vorsichtig, hier nun namentlich CSU und den rechten Flügel der CDU zu nennen. Am anderen Ende des politischen Spektrums passiert mit anderen Themen das Gleiche: Hier wird ewig auf „die Konzerne“ und den Freihandel geschimpft und eine im Detail recht diffuse „soziale Gesellschaft“ beschworen, „soziale Wärme“, was immer das sein mag, wird zum Ziel von Politik. Und dann soll es jetzt auf einmal mit TTIP Chlorhühnchen und Schiedsgerichte geben? Da soll hinter verschlossenen Türen verhandelt werden? Wer den Menschen nicht erklärt, dass der Ast der sozialen Gerechtigkeit einen wirtschaftlich gesunden Baum braucht, der sägt den Ast zwar nicht ab, aber lässt ihn morsch werden. So ist es kein Wunder, dass viele Menschen in Herrn Gabriels Kehrtwende in Sachen TTIP irgendwelche Lobbies und nicht etwa die schlichte Vernunft am Werk sehen. So ist die Angst, die den Fortschritt, den Wohlstand und vor allem das tolerante Zusammenleben behindert, die Frucht schlechter politischer Führung.

Da, und nur da, hat Pegida Recht. Und da liegt die Gefahr: Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Wunde Punkt, den Pegida anspricht, eine viel größere Strahlkraft in die Mitte der Gesellschaft hat, als ihre sonstigen, wirren, xenophobischen Forderungen. Dies ist der wahre Kern des aktuellen Erfolgs. Wer Pegida bekämpfen will, muss den Menschen ehrlich erklären, warum Einwanderung nicht nur ein notwendiges Übel, sondern der Garant für eine sichere und bessere Zukunft ist. Wer den Freihandel als Wohlstandsmotor auch und grade für die Ärmsten haben will, der muss erklären, wie er wirkt und wann worüber was verhandelt wird. Dann kann kann man auch hinter verschlossenen Türen verhandeln ohne dass irgendwer so tun kann, als wären düstere Mächte am Werk.