Veggie Day revisited

Das Thema ist ja eigentlich durch; spätestens seit der Wahl, spätestens seit klar ist, dass es einer der Gründe für das unerwartet schlechte Abschneiden der Grünen ist. Aber es ist so ein schönes Beispiel dafür, was „liberal“ bedeuten kann und warum staatliches Eingreifen so oft das Gegenteil davon ist.

Hinter der Forderung, alle staatlichen Kantinen sollten an mindestens einem Tag in der Woche ausschließlich vegetarisches Essen anbieten, verstecken sich drei Ebenen: Eine inhaltliche, eine ordnungspolitische und eine philisophische. In der Debatte um den Veggie Day wurden bestenfalls die ersten beiden diskutiert.

Die inhaltliche Ebene beinhaltet die Frage, ob es richtig/sinnvoll/wünschenswert ist, einmal in der Woche vegetarisch zu essen. Zu ihrer Beantwortung müssen wir nicht in die aktuell beliebte Debatte über Vegetarismus oder andere Ernährungsformen abdriften: Sie lässt sich ganz einfach mit einem vollumfänglichen „Ja“ beantworten. Die Erkenntnis, dass es sinnvoll und gesund ist, nicht jeden Tag Fleisch zu essen, bedarf keiner der aktuellen Rechtfertigungen (tiefreundlich, sparsam, gegen Foodkonzerne, kreative Küche, undsoweiter) oder wissenschaftlicher Studien über die gesundheitsschädigende Wirkung übermäßigen Fleischkonsums. Sie ist schlicht Common Sense. Daher führen auch alle Argumente für eine vegetarische Ernährung in Zusammenhang mit dem Veggie Day ins Leere: Kein Mensch würde allen Ernstes behaupten, es sei falsch, mindestens einmal in der Woche vegetarisch zu essen.

Damit kommen wir auf die ordnungspolitische Ebene, und hier wird’s spannender. Es geht um die Frage, ob der Staat das Recht hat, seinen Bürgern die vegetarische Ernährung auch nur für einen Tag in der Woche vorzuschreiben. Die Antwort ist ein klares „Nein“. Die genannten Gründe für vegetarische Ernährung an einem Tag in der Woche, geben dem Staat noch lange nicht das Recht, das auch gesetzlich vorzuschreiben. Denn was ich esse, ist immer meine eigene Entscheidung und ja, ich habe das Recht, mich ungesund zu ernähren. Etwas abstrahiert: Der Staat hat immer dann das Recht – und dann übrigens meistens die Pflicht – in die private Lebensgestaltung einzugreifen, wenn davon die Lebensgestaltung eines Dritten konkret beeinflusst wird. Inwieweit das im Falle des Veggie Days der Fall sein sollte, bleibt schleierhaft. Wobei besorgniserregend ist, dass genau diese entscheidende Frage als Test für ein staatliches Eingreifen nach meinem Wissen in der Debatte auch von Befürwortern des Veggie Days noch nicht mal erörtert worden ist.

Das bring uns zu der philosophischen Ebene, und der entscheidenden Frage inwieweit denn ein Veggie Day mit den Grundpfeilern der liberalen, rechtstaatlichen Demokratie vereinbar oder eben nicht vereinbar ist. Hier gibt es einen Gedanken, der über den eben genannten ordnungspolitischen hinausgeht; ein schlicht logisches Argument, aus dem sich fast zwangsläufig ergibt, dass ein Veggie Day in der vorgeschlagenen Form und im Übrigen jedes staatliche Eingreifen in die indivduelle Lebensgestaltung nicht nur dem liberalen Grundgedanken der persönlichen Freiheit zuwiderläuft, sondern im eklatanten Widerspruch zum Gedanken der Demokratie steht.
Die Grundannahme der Demokratie ist, dass jeder Bürger in der Lage ist, alle vier Jahre eine freie Entscheidung darüber treffen zu können, an wen er seine Macht (die geht ja bekanntlich vom Volke aus) deligiert. Eine Wahl ist genau diese Entscheidung, nichts anderes. Damit setzen wir in der Demokratie sehr viel voraus, vor allem die Fähigkeit jedes Bürgers, sich zu Informieren und auf Basis fast zwangsläufig unvollständiger Informationen eine Entscheidung über die Zukunft zu treffen. Wir messen dieser Entscheidung eine hohe Bedeutung bei, sie ist die Grundlage für das entscheidende politische Handeln in einer Legislaturperiode.
Was das mit dem Veggie Day zu tun hat? Wenn wir dem Wähler zutrauen, eine so wichtige Entscheidung zu treffen, müssten wir ihm dann nicht auch zutrauen, zu entscheiden, was er wann, wie und in welcher Menge isst?

Zusammen ergibt sich daraus ein Test für die Grenzen der Legitimation staatlicher Regulierung: Wann immer sie Entscheidungen betrifft, die ein Mensch mit sich alleine ausmachen muss, steht sie nicht nur im Widerspruch zur individuellen Freiheit. Sie ist auch nicht mit der Grundannahme der Demokratie vereinbar.

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